sind. Weiter nichts, um unsre Gebrechen und Un¬ schönheiten zu bemänteln, legen wir Cotillons, Sur¬ touts und Redingoten an. Und gar nicht nach un¬ srer Wahl, wie wir's von unsern Voreltern über¬ kommen haben. Wir ändern nur den Schnitt. Und von wem kommt der? So weit Sie zurückgehn, aus Paris. Nehmen Sie mir Stück für Stück vom Leibe, was vom Auslande stammt, und ich würde wirklich mich nicht unterstehen, in dem Kostüm, was die Na¬ tur mir läßt, vor Euer Erlaucht stehn zu bleiben. Was ist's nun mit der Nationalität anders, gnä¬ digste Frau, verschieden geschnittene und gefärbte Röcke um dieselben Menschen. Freilich pressen enge Schuhe den Fuß der Chinesinnen klein, und der des Türken wächst plump in seinen weiten Pantoffeln, aber der Fuß bleibt Fuß, und mit der Sohle treten sie in Grönland auf und in Constantinopel. Ist der Franzos ein Andrer, weil er mehr auf den Zehen geht, und wir mehr auf den Hacken? Wo wir nun Alle bettelarm wären, und zottig umherlaufen mü߬ ten in unsrer Blöße, lohnt sich's da, um den Schnitt und das Kostüm uns zu hassen? denn weiter ist die Nationalität nichts.'
"Einem Bildhauer vergebe ich diese Naturauf¬ fassung. Aber Sonne, Clima, Luft wirken verschie¬ den auf die Creatur. Die Nationen sind verschieden in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht abstreiten."
"Ja, in jedem Lehrbuch steht's, daß der Fran¬
ſind. Weiter nichts, um unſre Gebrechen und Un¬ ſchönheiten zu bemänteln, legen wir Cotillons, Sur¬ touts und Redingoten an. Und gar nicht nach un¬ ſrer Wahl, wie wir's von unſern Voreltern über¬ kommen haben. Wir ändern nur den Schnitt. Und von wem kommt der? So weit Sie zurückgehn, aus Paris. Nehmen Sie mir Stück für Stück vom Leibe, was vom Auslande ſtammt, und ich würde wirklich mich nicht unterſtehen, in dem Koſtüm, was die Na¬ tur mir läßt, vor Euer Erlaucht ſtehn zu bleiben. Was iſt's nun mit der Nationalität anders, gnä¬ digſte Frau, verſchieden geſchnittene und gefärbte Röcke um dieſelben Menſchen. Freilich preſſen enge Schuhe den Fuß der Chineſinnen klein, und der des Türken wächſt plump in ſeinen weiten Pantoffeln, aber der Fuß bleibt Fuß, und mit der Sohle treten ſie in Grönland auf und in Conſtantinopel. Iſt der Franzos ein Andrer, weil er mehr auf den Zehen geht, und wir mehr auf den Hacken? Wo wir nun Alle bettelarm wären, und zottig umherlaufen mü߬ ten in unſrer Blöße, lohnt ſich's da, um den Schnitt und das Koſtüm uns zu haſſen? denn weiter iſt die Nationalität nichts.‘
„Einem Bildhauer vergebe ich dieſe Naturauf¬ faſſung. Aber Sonne, Clima, Luft wirken verſchie¬ den auf die Creatur. Die Nationen ſind verſchieden in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht abſtreiten.“
„Ja, in jedem Lehrbuch ſteht's, daß der Fran¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0136"n="126"/>ſind. Weiter nichts, um unſre Gebrechen und Un¬<lb/>ſchönheiten zu bemänteln, legen wir Cotillons, Sur¬<lb/>
touts und Redingoten an. Und gar nicht nach un¬<lb/>ſrer Wahl, wie wir's von unſern Voreltern über¬<lb/>
kommen haben. Wir ändern nur den Schnitt. Und<lb/>
von wem kommt der? So weit Sie zurückgehn, aus<lb/>
Paris. Nehmen Sie mir Stück für Stück vom Leibe,<lb/>
was vom Auslande ſtammt, und ich würde wirklich<lb/>
mich nicht unterſtehen, in dem Koſtüm, was die Na¬<lb/>
tur mir läßt, vor Euer Erlaucht ſtehn zu bleiben.<lb/>
Was iſt's nun mit der Nationalität anders, gnä¬<lb/>
digſte Frau, verſchieden geſchnittene und gefärbte<lb/>
Röcke um dieſelben Menſchen. Freilich preſſen enge<lb/>
Schuhe den Fuß der Chineſinnen klein, und der des<lb/>
Türken wächſt plump in ſeinen weiten Pantoffeln,<lb/>
aber der Fuß bleibt Fuß, und mit der Sohle treten<lb/>ſie in Grönland auf und in Conſtantinopel. Iſt der<lb/>
Franzos ein Andrer, weil er mehr auf den Zehen<lb/>
geht, und wir mehr auf den Hacken? Wo wir nun<lb/>
Alle bettelarm wären, und zottig umherlaufen mü߬<lb/>
ten in unſrer Blöße, lohnt ſich's da, um den Schnitt<lb/>
und das Koſtüm uns zu haſſen? denn weiter iſt<lb/>
die Nationalität nichts.‘</p><lb/><p>„Einem Bildhauer vergebe ich dieſe Naturauf¬<lb/>
faſſung. Aber Sonne, Clima, Luft wirken verſchie¬<lb/>
den auf die Creatur. Die Nationen ſind verſchieden<lb/>
in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht<lb/>
abſtreiten.“</p><lb/><p>„Ja, in jedem Lehrbuch ſteht's, daß der Fran¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[126/0136]
ſind. Weiter nichts, um unſre Gebrechen und Un¬
ſchönheiten zu bemänteln, legen wir Cotillons, Sur¬
touts und Redingoten an. Und gar nicht nach un¬
ſrer Wahl, wie wir's von unſern Voreltern über¬
kommen haben. Wir ändern nur den Schnitt. Und
von wem kommt der? So weit Sie zurückgehn, aus
Paris. Nehmen Sie mir Stück für Stück vom Leibe,
was vom Auslande ſtammt, und ich würde wirklich
mich nicht unterſtehen, in dem Koſtüm, was die Na¬
tur mir läßt, vor Euer Erlaucht ſtehn zu bleiben.
Was iſt's nun mit der Nationalität anders, gnä¬
digſte Frau, verſchieden geſchnittene und gefärbte
Röcke um dieſelben Menſchen. Freilich preſſen enge
Schuhe den Fuß der Chineſinnen klein, und der des
Türken wächſt plump in ſeinen weiten Pantoffeln,
aber der Fuß bleibt Fuß, und mit der Sohle treten
ſie in Grönland auf und in Conſtantinopel. Iſt der
Franzos ein Andrer, weil er mehr auf den Zehen
geht, und wir mehr auf den Hacken? Wo wir nun
Alle bettelarm wären, und zottig umherlaufen mü߬
ten in unſrer Blöße, lohnt ſich's da, um den Schnitt
und das Koſtüm uns zu haſſen? denn weiter iſt
die Nationalität nichts.‘
„Einem Bildhauer vergebe ich dieſe Naturauf¬
faſſung. Aber Sonne, Clima, Luft wirken verſchie¬
den auf die Creatur. Die Nationen ſind verſchieden
in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht
abſtreiten.“
„Ja, in jedem Lehrbuch ſteht's, daß der Fran¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/136>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.