Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

den Medoc. Es war mehr als still, ich würde sagen
bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand
jedesmal unruhig geworden, sobald der Rittmeister
das Glas aus der Flasche wieder vollschenkte. Ob
er Gedanken schöpfte, ob er sie verschluckte? Der
Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn
er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand
spiegelte drei Positionen, in denen er Minuten lang
verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in
beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬
gelehnt, mit gesunkenen Armen, oder, wenn ein
Entschluß zu kommen schien, sie plötzlich auf der
Brust verschränkend. Aber die Flasche war schon zu
drei Viertel ausgeleert und der Entschluß noch nicht
gekommen.

Ein Entschluß kostet jedem etwas, wer aber weiß,
wie der beste gefaßte zum übeln ausschlagen kann,
und wer nur die Erfahrung des Rittmeisters gewußt,
der würde ihn um seine Unentschlossenheit nicht getadelt
haben.

Hatte er sich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬
schlossen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß
frei zu werden? Es war kein geringes für jemand,
der von zwei unsichtbaren Schutzengeln hin und her
gezogen wird, und in sich keinen Oberen findet. Wenn
diese ihm zuraunten: sie hat dich eigentlich nie geliebt,
sie hat nur gespielt mit dir; nun auch dieses Spie¬
les überdrüssig, läßt sie es nur zu ihrem Amüsement,
dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬

den Medoc. Es war mehr als ſtill, ich würde ſagen
bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand
jedesmal unruhig geworden, ſobald der Rittmeiſter
das Glas aus der Flaſche wieder vollſchenkte. Ob
er Gedanken ſchöpfte, ob er ſie verſchluckte? Der
Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn
er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand
ſpiegelte drei Poſitionen, in denen er Minuten lang
verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in
beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬
gelehnt, mit geſunkenen Armen, oder, wenn ein
Entſchluß zu kommen ſchien, ſie plötzlich auf der
Bruſt verſchränkend. Aber die Flaſche war ſchon zu
drei Viertel ausgeleert und der Entſchluß noch nicht
gekommen.

Ein Entſchluß koſtet jedem etwas, wer aber weiß,
wie der beſte gefaßte zum übeln ausſchlagen kann,
und wer nur die Erfahrung des Rittmeiſters gewußt,
der würde ihn um ſeine Unentſchloſſenheit nicht getadelt
haben.

Hatte er ſich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬
ſchloſſen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß
frei zu werden? Es war kein geringes für jemand,
der von zwei unſichtbaren Schutzengeln hin und her
gezogen wird, und in ſich keinen Oberen findet. Wenn
dieſe ihm zuraunten: ſie hat dich eigentlich nie geliebt,
ſie hat nur geſpielt mit dir; nun auch dieſes Spie¬
les überdrüſſig, läßt ſie es nur zu ihrem Amüſement,
dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0082" n="72"/>
den Medoc. Es war mehr als &#x017F;till, ich würde &#x017F;agen<lb/>
bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand<lb/>
jedesmal unruhig geworden, &#x017F;obald der Rittmei&#x017F;ter<lb/>
das Glas aus der Fla&#x017F;che wieder voll&#x017F;chenkte. Ob<lb/>
er Gedanken &#x017F;chöpfte, ob er &#x017F;ie ver&#x017F;chluckte? Der<lb/>
Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn<lb/>
er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand<lb/>
&#x017F;piegelte drei Po&#x017F;itionen, in denen er Minuten lang<lb/>
verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in<lb/>
beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬<lb/>
gelehnt, mit ge&#x017F;unkenen Armen, oder, wenn ein<lb/>
Ent&#x017F;chluß zu kommen &#x017F;chien, &#x017F;ie plötzlich auf der<lb/>
Bru&#x017F;t ver&#x017F;chränkend. Aber die Fla&#x017F;che war &#x017F;chon zu<lb/>
drei Viertel ausgeleert und der Ent&#x017F;chluß noch nicht<lb/>
gekommen.</p><lb/>
        <p>Ein Ent&#x017F;chluß ko&#x017F;tet jedem etwas, wer aber weiß,<lb/>
wie der be&#x017F;te gefaßte zum übeln aus&#x017F;chlagen kann,<lb/>
und wer nur die Erfahrung des Rittmei&#x017F;ters gewußt,<lb/>
der würde ihn um &#x017F;eine Unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit nicht getadelt<lb/>
haben.</p><lb/>
        <p>Hatte er &#x017F;ich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß<lb/>
frei zu werden? Es war kein geringes für jemand,<lb/>
der von zwei un&#x017F;ichtbaren Schutzengeln hin und her<lb/>
gezogen wird, und in &#x017F;ich keinen Oberen findet. Wenn<lb/>
die&#x017F;e ihm zuraunten: &#x017F;ie hat dich eigentlich nie geliebt,<lb/>
&#x017F;ie hat nur ge&#x017F;pielt mit dir; nun auch die&#x017F;es Spie¬<lb/>
les überdrü&#x017F;&#x017F;ig, läßt &#x017F;ie es nur zu ihrem Amü&#x017F;ement,<lb/>
dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0082] den Medoc. Es war mehr als ſtill, ich würde ſagen bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand jedesmal unruhig geworden, ſobald der Rittmeiſter das Glas aus der Flaſche wieder vollſchenkte. Ob er Gedanken ſchöpfte, ob er ſie verſchluckte? Der Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand ſpiegelte drei Poſitionen, in denen er Minuten lang verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬ gelehnt, mit geſunkenen Armen, oder, wenn ein Entſchluß zu kommen ſchien, ſie plötzlich auf der Bruſt verſchränkend. Aber die Flaſche war ſchon zu drei Viertel ausgeleert und der Entſchluß noch nicht gekommen. Ein Entſchluß koſtet jedem etwas, wer aber weiß, wie der beſte gefaßte zum übeln ausſchlagen kann, und wer nur die Erfahrung des Rittmeiſters gewußt, der würde ihn um ſeine Unentſchloſſenheit nicht getadelt haben. Hatte er ſich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬ ſchloſſen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß frei zu werden? Es war kein geringes für jemand, der von zwei unſichtbaren Schutzengeln hin und her gezogen wird, und in ſich keinen Oberen findet. Wenn dieſe ihm zuraunten: ſie hat dich eigentlich nie geliebt, ſie hat nur geſpielt mit dir; nun auch dieſes Spie¬ les überdrüſſig, läßt ſie es nur zu ihrem Amüſement, dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/82
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/82>, abgerufen am 22.11.2024.