"Wir sind ein ander Geschlecht, fuhr er ruhi¬ ger fort, als Sie draußen; ja es ist so, das Warum kümmert Sie und mich heut nicht. Wenn wir krank wurden, können wir uns nur selbst heilen; Ihre Aerzte thun es nicht, sie verstehen unsre Na¬ tur nicht. Aber etwas, mein Herr, sollten Sie ken¬ nen. Die Blätter der Geschichte lehren es. Wenn wir am tiefsten erniedrigt schienen, die Welt uns verloren gab, dann grade schnellten wir in Jugendkraft zur vorigen Große."
"Wem gab denn die Natur ewige Jugend!"
"Sie sagen, wir haben uns vom Boden gelöst, auf dem wir wuchsen, und flattern haltlos zwischen Himmel und Erde, weil wir nicht Muth haben, vorwärts ins Blaue uns zu stürzen. Ich geb's Ihnen zu. Aber wir haben Vertrauen; noch haben wir's, Herr Major. Der Fürst vertraute dem Volke, das Volk dem Fürsten. So lange das Band hält, ist Preußen nicht verloren. Wie oft traten Retter auf, als die Noth am größten, die Klügsten keine Aussicht sahen, die Muthigsten ver¬ zweifelten. Man sagt, daß der große König Gift in seinem Ringe trug. Gebraucht hat er es nicht. Nicht bei Collin, nicht in der Nacht von Hochkirch, nicht, als er mit seinem Häuflein, wie der Manns¬ felder durch seine Staaten irrte. In sich selbst und aus der Verwüstung heraus fand er sich wieder. Und in welcher andern Wüste rettete, schuf der Große Kurfürst seinen Staat! Wo überall, wie von Gott geschickt, unerwartet, der David auftrat, der die
III. 20
„Wir ſind ein ander Geſchlecht, fuhr er ruhi¬ ger fort, als Sie draußen; ja es iſt ſo, das Warum kümmert Sie und mich heut nicht. Wenn wir krank wurden, können wir uns nur ſelbſt heilen; Ihre Aerzte thun es nicht, ſie verſtehen unſre Na¬ tur nicht. Aber etwas, mein Herr, ſollten Sie ken¬ nen. Die Blätter der Geſchichte lehren es. Wenn wir am tiefſten erniedrigt ſchienen, die Welt uns verloren gab, dann grade ſchnellten wir in Jugendkraft zur vorigen Große.“
„Wem gab denn die Natur ewige Jugend!“
„Sie ſagen, wir haben uns vom Boden gelöſt, auf dem wir wuchſen, und flattern haltlos zwiſchen Himmel und Erde, weil wir nicht Muth haben, vorwärts ins Blaue uns zu ſtürzen. Ich geb's Ihnen zu. Aber wir haben Vertrauen; noch haben wir's, Herr Major. Der Fürſt vertraute dem Volke, das Volk dem Fürſten. So lange das Band hält, iſt Preußen nicht verloren. Wie oft traten Retter auf, als die Noth am größten, die Klügſten keine Ausſicht ſahen, die Muthigſten ver¬ zweifelten. Man ſagt, daß der große König Gift in ſeinem Ringe trug. Gebraucht hat er es nicht. Nicht bei Collin, nicht in der Nacht von Hochkirch, nicht, als er mit ſeinem Häuflein, wie der Manns¬ felder durch ſeine Staaten irrte. In ſich ſelbſt und aus der Verwüſtung heraus fand er ſich wieder. Und in welcher andern Wüſte rettete, ſchuf der Große Kurfürſt ſeinen Staat! Wo überall, wie von Gott geſchickt, unerwartet, der David auftrat, der die
III. 20
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„Wir ſind ein ander Geſchlecht, fuhr er ruhi¬
ger fort, als Sie draußen; ja es iſt ſo, das Warum
kümmert Sie und mich heut nicht. Wenn wir
krank wurden, können wir uns nur ſelbſt heilen;
Ihre Aerzte thun es nicht, ſie verſtehen unſre Na¬
tur nicht. Aber etwas, mein Herr, ſollten Sie ken¬
nen. Die Blätter der Geſchichte lehren es. Wenn
wir am tiefſten erniedrigt ſchienen, die Welt
uns verloren gab, dann grade ſchnellten
wir in Jugendkraft zur vorigen Große.“
„Wem gab denn die Natur ewige Jugend!“
„Sie ſagen, wir haben uns vom Boden gelöſt,
auf dem wir wuchſen, und flattern haltlos zwiſchen
Himmel und Erde, weil wir nicht Muth haben, vorwärts
ins Blaue uns zu ſtürzen. Ich geb's Ihnen zu. Aber
wir haben Vertrauen; noch haben wir's, Herr Major.
Der Fürſt vertraute dem Volke, das Volk dem Fürſten.
So lange das Band hält, iſt Preußen nicht verloren.
Wie oft traten Retter auf, als die Noth am größten,
die Klügſten keine Ausſicht ſahen, die Muthigſten ver¬
zweifelten. Man ſagt, daß der große König Gift
in ſeinem Ringe trug. Gebraucht hat er es nicht.
Nicht bei Collin, nicht in der Nacht von Hochkirch,
nicht, als er mit ſeinem Häuflein, wie der Manns¬
felder durch ſeine Staaten irrte. In ſich ſelbſt und
aus der Verwüſtung heraus fand er ſich wieder. Und
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Kurfürſt ſeinen Staat! Wo überall, wie von Gott
geſchickt, unerwartet, der David auftrat, der die
III. 20
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/315>, abgerufen am 25.11.2024.
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