lautes Gespräch einen Vorübergehenden angelockt, der an der Schwelle der geöffneten Thür stehen blieb.
"Unterscheiden Sie wenigstens die Nation von -- denen, die Sie brandmarken."
"Wer ist die Nation? Wo sitzt sie? Wo schlägt ihr Herz, wo drück ich ihre Hand? Das ist die ungeheure Täuschung, daß wir dieses Conglomerat von Gliedern für einen organischen Körper ansahen. Hier, wo alle Adern zusammenfließen sollen, glaubte ich das Herz gefunden zu haben. Was fand ich! Zwei Racen, man sollte meinen, von verschiedener Abstammung, Sprache, Hautfarbe, wie Niebuhr die Römer seciren will. Zwei Racen, die sich ausweichen, verachten, hassen, Militair und Civil genannt! Dies Militair knirscht freilich, aber was hilft uns das Knirschen der Maschine mit knarrenden Rädern! Dieser Koloß ohne Elasticität kann noch zermalmen, nicht mehr retten, befreien, weil ihm der Odem fehlt. Der Mensch, der Mann, der Bürger, ja der Ritter selbst, ging unter in der vielgelobten Disciplin. Da sollen wir Kämpfer, Paladine suchen für die ewigen Güter der Nation, wo Gefühl dafür, Be¬ wußtsein, der feurige Wille zum Verbrechen ward! Ein Paar elende Creaturen, gehaßt, verachtet von Allen, selbst von denen nicht geliebt, in deren Stim¬ mungen sie sich einhüllen, um sie im Schlaf zu beherrschen, die sind wichtiger als dieses mächtige Heer. Was ist nun dieser gewaltige separirte Theil der Nation, den man als ihr andres Selbst im
lautes Geſpräch einen Vorübergehenden angelockt, der an der Schwelle der geöffneten Thür ſtehen blieb.
„Unterſcheiden Sie wenigſtens die Nation von — denen, die Sie brandmarken.“
„Wer iſt die Nation? Wo ſitzt ſie? Wo ſchlägt ihr Herz, wo drück ich ihre Hand? Das iſt die ungeheure Täuſchung, daß wir dieſes Conglomerat von Gliedern für einen organiſchen Körper anſahen. Hier, wo alle Adern zuſammenfließen ſollen, glaubte ich das Herz gefunden zu haben. Was fand ich! Zwei Racen, man ſollte meinen, von verſchiedener Abſtammung, Sprache, Hautfarbe, wie Niebuhr die Römer ſeciren will. Zwei Racen, die ſich ausweichen, verachten, haſſen, Militair und Civil genannt! Dies Militair knirſcht freilich, aber was hilft uns das Knirſchen der Maſchine mit knarrenden Rädern! Dieſer Koloß ohne Elaſticität kann noch zermalmen, nicht mehr retten, befreien, weil ihm der Odem fehlt. Der Menſch, der Mann, der Bürger, ja der Ritter ſelbſt, ging unter in der vielgelobten Disciplin. Da ſollen wir Kämpfer, Paladine ſuchen für die ewigen Güter der Nation, wo Gefühl dafür, Be¬ wußtſein, der feurige Wille zum Verbrechen ward! Ein Paar elende Creaturen, gehaßt, verachtet von Allen, ſelbſt von denen nicht geliebt, in deren Stim¬ mungen ſie ſich einhüllen, um ſie im Schlaf zu beherrſchen, die ſind wichtiger als dieſes mächtige Heer. Was iſt nun dieſer gewaltige ſeparirte Theil der Nation, den man als ihr andres Selbſt im
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lautes Geſpräch einen Vorübergehenden angelockt,
der an der Schwelle der geöffneten Thür ſtehen blieb.
„Unterſcheiden Sie wenigſtens die Nation von —
denen, die Sie brandmarken.“
„Wer iſt die Nation? Wo ſitzt ſie? Wo ſchlägt
ihr Herz, wo drück ich ihre Hand? Das iſt die
ungeheure Täuſchung, daß wir dieſes Conglomerat
von Gliedern für einen organiſchen Körper anſahen.
Hier, wo alle Adern zuſammenfließen ſollen, glaubte
ich das Herz gefunden zu haben. Was fand ich!
Zwei Racen, man ſollte meinen, von verſchiedener
Abſtammung, Sprache, Hautfarbe, wie Niebuhr die
Römer ſeciren will. Zwei Racen, die ſich ausweichen,
verachten, haſſen, Militair und Civil genannt! Dies
Militair knirſcht freilich, aber was hilft uns das
Knirſchen der Maſchine mit knarrenden Rädern!
Dieſer Koloß ohne Elaſticität kann noch zermalmen,
nicht mehr retten, befreien, weil ihm der Odem fehlt.
Der Menſch, der Mann, der Bürger, ja der Ritter
ſelbſt, ging unter in der vielgelobten Disciplin. Da
ſollen wir Kämpfer, Paladine ſuchen für die
ewigen Güter der Nation, wo Gefühl dafür, Be¬
wußtſein, der feurige Wille zum Verbrechen ward!
Ein Paar elende Creaturen, gehaßt, verachtet von
Allen, ſelbſt von denen nicht geliebt, in deren Stim¬
mungen ſie ſich einhüllen, um ſie im Schlaf zu
beherrſchen, die ſind wichtiger als dieſes mächtige
Heer. Was iſt nun dieſer gewaltige ſeparirte Theil
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/307>, abgerufen am 25.11.2024.
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