"Mein lieber Walter, Dein Vater hat doch wohl recht gehabt. Wenn wir uns sonst nicht vertrugen, weil Deine Gedanken wo anders hingingen als meine, so mag ich unrecht gehabt haben. Gedanken sind zollfrei, und ich dachte als Kaufmann nur an die Waare. So lange man im Schmetterlingskleide über die bunten Wiesen flattert, da lasse man doch die Kinder spielen. Ich bitte Dich um Verzeihung, daß ich damals meinte, ich könnte Dich mit einem Bind¬ faden leiten, den ich an Deine Flügel band. Aber wenn der Schmetterling sich verpuppt hat, und aus den Gedanken Plane werden, wenn sie die Ideen marktgerecht zurichten und an den Mann bringen wollen, ists was anderes. Nun, sehe jeder, wie er's treibe. Du bist jetzt ein Mann, ein Kaufmann für Dich; wenn Du speculirst, mußt Du so gut wie Dein Vater auf ein Fallissement gefaßt sein. Dein Vater würde sich zu schicken wissen in das, was nicht zu ändern ist, und Du auch; Du bist mein Sohn. -- Aber wenn man für den Staat speculiren will, ist das erste, daß man sich die Menschen ansieht, die, für die man speculirt -- die Leute, ob sie danach sind? Die Gedanken, o die sind wunderschön. Aber was sind Ideen, ohne Menschen, die sie tragen! Das große Vaterland, o das ist das Erhabenste was es giebt, wer wollte nicht dafür Gut und Blut opfern! Wenn nun aber das Vaterland bloß Erde und Stein wäre und die Menschen ausgestorben? Würdest Du dafür auch Dein Blut dran setzen? Oder die Menschen
„Mein lieber Walter, Dein Vater hat doch wohl recht gehabt. Wenn wir uns ſonſt nicht vertrugen, weil Deine Gedanken wo anders hingingen als meine, ſo mag ich unrecht gehabt haben. Gedanken ſind zollfrei, und ich dachte als Kaufmann nur an die Waare. So lange man im Schmetterlingskleide über die bunten Wieſen flattert, da laſſe man doch die Kinder ſpielen. Ich bitte Dich um Verzeihung, daß ich damals meinte, ich könnte Dich mit einem Bind¬ faden leiten, den ich an Deine Flügel band. Aber wenn der Schmetterling ſich verpuppt hat, und aus den Gedanken Plane werden, wenn ſie die Ideen marktgerecht zurichten und an den Mann bringen wollen, iſts was anderes. Nun, ſehe jeder, wie er's treibe. Du biſt jetzt ein Mann, ein Kaufmann für Dich; wenn Du ſpeculirſt, mußt Du ſo gut wie Dein Vater auf ein Falliſſement gefaßt ſein. Dein Vater würde ſich zu ſchicken wiſſen in das, was nicht zu ändern iſt, und Du auch; Du biſt mein Sohn. — Aber wenn man für den Staat ſpeculiren will, iſt das erſte, daß man ſich die Menſchen anſieht, die, für die man ſpeculirt — die Leute, ob ſie danach ſind? Die Gedanken, o die ſind wunderſchön. Aber was ſind Ideen, ohne Menſchen, die ſie tragen! Das große Vaterland, o das iſt das Erhabenſte was es giebt, wer wollte nicht dafür Gut und Blut opfern! Wenn nun aber das Vaterland bloß Erde und Stein wäre und die Menſchen ausgeſtorben? Würdeſt Du dafür auch Dein Blut dran ſetzen? Oder die Menſchen
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„Mein lieber Walter, Dein Vater hat doch wohl
recht gehabt. Wenn wir uns ſonſt nicht vertrugen,
weil Deine Gedanken wo anders hingingen als meine,
ſo mag ich unrecht gehabt haben. Gedanken ſind
zollfrei, und ich dachte als Kaufmann nur an die
Waare. So lange man im Schmetterlingskleide über
die bunten Wieſen flattert, da laſſe man doch die
Kinder ſpielen. Ich bitte Dich um Verzeihung, daß
ich damals meinte, ich könnte Dich mit einem Bind¬
faden leiten, den ich an Deine Flügel band. Aber
wenn der Schmetterling ſich verpuppt hat, und aus
den Gedanken Plane werden, wenn ſie die Ideen
marktgerecht zurichten und an den Mann bringen
wollen, iſts was anderes. Nun, ſehe jeder, wie er's
treibe. Du biſt jetzt ein Mann, ein Kaufmann für
Dich; wenn Du ſpeculirſt, mußt Du ſo gut wie Dein
Vater auf ein Falliſſement gefaßt ſein. Dein Vater
würde ſich zu ſchicken wiſſen in das, was nicht zu
ändern iſt, und Du auch; Du biſt mein Sohn. —
Aber wenn man für den Staat ſpeculiren will, iſt
das erſte, daß man ſich die Menſchen anſieht, die,
für die man ſpeculirt — die Leute, ob ſie danach
ſind? Die Gedanken, o die ſind wunderſchön. Aber
was ſind Ideen, ohne Menſchen, die ſie tragen! Das
große Vaterland, o das iſt das Erhabenſte was es
giebt, wer wollte nicht dafür Gut und Blut opfern!
Wenn nun aber das Vaterland bloß Erde und Stein
wäre und die Menſchen ausgeſtorben? Würdeſt Du
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/239>, abgerufen am 28.11.2024.
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