Wenige Minuten nach dieser Scene erhielt Walter van Asten ein Billet seiner Braut, so geeignet ihn aus seiner Ruhe aufzureißen, als es von Adel¬ heids äußerster Unruhe Zeugniß ablegte. Er erkannte in den wild hingesprühten Worten seine besonnene, klare Freundin nicht wieder. Er verstand das ganze Billet nicht, denn zu Anfang sprach es von einem Abgrunde, an dem sie schaudernd stünde, sie strecke vergebens die Arme nach Hülfe aus, dann entzifferte er in den von Thränen ausgelöschten Worten, daß er sie retten könne; aber die Schlußworte widerriefen das Vorangehende. Sie sei in einem Fieberzustand, er möge nicht auf sie hören, sie lassen wo sie sei, sich selbst, ihrem Schicksale überlassen. Wenn sie unterginge, sei es vielleicht das beste für ihn und sie. Gewiß, gewiß, sie werde sich auch dann erholen, die Geheimräthin habe sie nur prüfen wollen, hinter dieser Medusen¬ maske schlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie drang in ihn endlich, nicht zu kommen, sich durch nichts stören zu lassen, was er höre. --
Zwölftes Kapitel. Auch Vater und Sohn.
Wenige Minuten nach dieſer Scene erhielt Walter van Aſten ein Billet ſeiner Braut, ſo geeignet ihn aus ſeiner Ruhe aufzureißen, als es von Adel¬ heids äußerſter Unruhe Zeugniß ablegte. Er erkannte in den wild hingeſprühten Worten ſeine beſonnene, klare Freundin nicht wieder. Er verſtand das ganze Billet nicht, denn zu Anfang ſprach es von einem Abgrunde, an dem ſie ſchaudernd ſtünde, ſie ſtrecke vergebens die Arme nach Hülfe aus, dann entzifferte er in den von Thränen ausgelöſchten Worten, daß er ſie retten könne; aber die Schlußworte widerriefen das Vorangehende. Sie ſei in einem Fieberzuſtand, er möge nicht auf ſie hören, ſie laſſen wo ſie ſei, ſich ſelbſt, ihrem Schickſale überlaſſen. Wenn ſie unterginge, ſei es vielleicht das beſte für ihn und ſie. Gewiß, gewiß, ſie werde ſich auch dann erholen, die Geheimräthin habe ſie nur prüfen wollen, hinter dieſer Meduſen¬ maske ſchlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie drang in ihn endlich, nicht zu kommen, ſich durch nichts ſtören zu laſſen, was er höre. —
<TEI><text><body><pbfacs="#f0230"n="[220]"/><divn="1"><head>Zwölftes Kapitel.<lb/><hirendition="#b">Auch Vater und Sohn.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wenige Minuten nach dieſer Scene erhielt<lb/>
Walter van Aſten ein Billet ſeiner Braut, ſo geeignet<lb/>
ihn aus ſeiner Ruhe aufzureißen, als es von Adel¬<lb/>
heids äußerſter Unruhe Zeugniß ablegte. Er erkannte<lb/>
in den wild hingeſprühten Worten ſeine beſonnene, klare<lb/>
Freundin nicht wieder. Er verſtand das ganze Billet<lb/>
nicht, denn zu Anfang ſprach es von einem Abgrunde,<lb/>
an dem ſie ſchaudernd ſtünde, ſie ſtrecke vergebens<lb/>
die Arme nach Hülfe aus, dann entzifferte er in<lb/>
den von Thränen ausgelöſchten Worten, daß er ſie<lb/>
retten könne; aber die Schlußworte widerriefen das<lb/>
Vorangehende. Sie ſei in einem Fieberzuſtand, er<lb/>
möge nicht auf ſie hören, ſie laſſen wo ſie ſei, ſich ſelbſt,<lb/>
ihrem Schickſale überlaſſen. Wenn ſie unterginge, ſei<lb/>
es vielleicht das beſte für ihn und ſie. Gewiß, gewiß,<lb/>ſie werde ſich auch dann erholen, die Geheimräthin<lb/>
habe ſie nur prüfen wollen, hinter dieſer Meduſen¬<lb/>
maske ſchlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie<lb/>
drang in ihn endlich, nicht zu kommen, ſich durch<lb/>
nichts ſtören zu laſſen, was er höre. —</p><lb/></div></body></text></TEI>
[[220]/0230]
Zwölftes Kapitel.
Auch Vater und Sohn.
Wenige Minuten nach dieſer Scene erhielt
Walter van Aſten ein Billet ſeiner Braut, ſo geeignet
ihn aus ſeiner Ruhe aufzureißen, als es von Adel¬
heids äußerſter Unruhe Zeugniß ablegte. Er erkannte
in den wild hingeſprühten Worten ſeine beſonnene, klare
Freundin nicht wieder. Er verſtand das ganze Billet
nicht, denn zu Anfang ſprach es von einem Abgrunde,
an dem ſie ſchaudernd ſtünde, ſie ſtrecke vergebens
die Arme nach Hülfe aus, dann entzifferte er in
den von Thränen ausgelöſchten Worten, daß er ſie
retten könne; aber die Schlußworte widerriefen das
Vorangehende. Sie ſei in einem Fieberzuſtand, er
möge nicht auf ſie hören, ſie laſſen wo ſie ſei, ſich ſelbſt,
ihrem Schickſale überlaſſen. Wenn ſie unterginge, ſei
es vielleicht das beſte für ihn und ſie. Gewiß, gewiß,
ſie werde ſich auch dann erholen, die Geheimräthin
habe ſie nur prüfen wollen, hinter dieſer Meduſen¬
maske ſchlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie
drang in ihn endlich, nicht zu kommen, ſich durch
nichts ſtören zu laſſen, was er höre. —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. [220]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/230>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.