"Ja, ich liebe ihn, rief die Baronin, und ich bin ja eine verheirathete Frau."
Also das war es. Mild lächelnd blickte die Fürstin auf die Sünderin herab, und fuhr mit den weichen Fingern über ihre Stirn:
"Erinnern Sie sich, wie der verlorne Sohn auf¬ genommen ward!"
"Ich kann ihn doch jetzt nicht verlassen -- wenn ich jetzt zurückkehre, raube ich ihm seinen Glauben --"
"An Ihre Liebe. Das ist sehr wahr. Der ver¬ lorne Sohn kehrte auch nicht auf den ersten Anfall von Reue zurück. Würde er so im Hause des Vaters empfangen sein! Er mußte eine furchtbare Schule der Sünde durchmachen, um der Gnade werth zu sein. Wäre er in sich gegangen nach einer leichten Verirrung, und hätte er sich etwa nach einem Trink¬ gelag, einem Verlust im Spiel, einer wüsten Nacht, reuig dem Vater zu Füßen geworfen, es wäre gewiß sehr hübsch und moralisch, aber der Vater, wenn er ein vernünftiger Mann war, hätte ihn aufgehoben und auf die Schulter geklopft und gesprochen: Nun das freut mich, daß Du es selbst einsiehst, künftig wirst Du Dich davor hüten, aber nun mache kein Aufheben davon, daß Du nicht ins Gerede kommst; sei ganz wie vorher, ich werde gegen Dich auch wie immer sein. O meine Freundin, wo blieb da die Seligkeit, die den Sohn, den Vater, das ganze Haus, die Nachbarschaft, erfüllte, jene Seligkeit, um die es sich lohnt gelebt, so viel Qualen ausgestanden
III. 12
„Ja, ich liebe ihn, rief die Baronin, und ich bin ja eine verheirathete Frau.“
Alſo das war es. Mild lächelnd blickte die Fürſtin auf die Sünderin herab, und fuhr mit den weichen Fingern über ihre Stirn:
„Erinnern Sie ſich, wie der verlorne Sohn auf¬ genommen ward!“
„Ich kann ihn doch jetzt nicht verlaſſen — wenn ich jetzt zurückkehre, raube ich ihm ſeinen Glauben —“
„An Ihre Liebe. Das iſt ſehr wahr. Der ver¬ lorne Sohn kehrte auch nicht auf den erſten Anfall von Reue zurück. Würde er ſo im Hauſe des Vaters empfangen ſein! Er mußte eine furchtbare Schule der Sünde durchmachen, um der Gnade werth zu ſein. Wäre er in ſich gegangen nach einer leichten Verirrung, und hätte er ſich etwa nach einem Trink¬ gelag, einem Verluſt im Spiel, einer wüſten Nacht, reuig dem Vater zu Füßen geworfen, es wäre gewiß ſehr hübſch und moraliſch, aber der Vater, wenn er ein vernünftiger Mann war, hätte ihn aufgehoben und auf die Schulter geklopft und geſprochen: Nun das freut mich, daß Du es ſelbſt einſiehſt, künftig wirſt Du Dich davor hüten, aber nun mache kein Aufheben davon, daß Du nicht ins Gerede kommſt; ſei ganz wie vorher, ich werde gegen Dich auch wie immer ſein. O meine Freundin, wo blieb da die Seligkeit, die den Sohn, den Vater, das ganze Haus, die Nachbarſchaft, erfüllte, jene Seligkeit, um die es ſich lohnt gelebt, ſo viel Qualen ausgeſtanden
III. 12
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„Ja, ich liebe ihn, rief die Baronin, und ich
bin ja eine verheirathete Frau.“
Alſo das war es. Mild lächelnd blickte die
Fürſtin auf die Sünderin herab, und fuhr mit den
weichen Fingern über ihre Stirn:
„Erinnern Sie ſich, wie der verlorne Sohn auf¬
genommen ward!“
„Ich kann ihn doch jetzt nicht verlaſſen — wenn
ich jetzt zurückkehre, raube ich ihm ſeinen Glauben —“
„An Ihre Liebe. Das iſt ſehr wahr. Der ver¬
lorne Sohn kehrte auch nicht auf den erſten Anfall
von Reue zurück. Würde er ſo im Hauſe des Vaters
empfangen ſein! Er mußte eine furchtbare Schule
der Sünde durchmachen, um der Gnade werth zu
ſein. Wäre er in ſich gegangen nach einer leichten
Verirrung, und hätte er ſich etwa nach einem Trink¬
gelag, einem Verluſt im Spiel, einer wüſten Nacht,
reuig dem Vater zu Füßen geworfen, es wäre gewiß
ſehr hübſch und moraliſch, aber der Vater, wenn er
ein vernünftiger Mann war, hätte ihn aufgehoben
und auf die Schulter geklopft und geſprochen: Nun
das freut mich, daß Du es ſelbſt einſiehſt, künftig
wirſt Du Dich davor hüten, aber nun mache kein
Aufheben davon, daß Du nicht ins Gerede kommſt;
ſei ganz wie vorher, ich werde gegen Dich auch wie
immer ſein. O meine Freundin, wo blieb da die
Seligkeit, die den Sohn, den Vater, das ganze
Haus, die Nachbarſchaft, erfüllte, jene Seligkeit, um
die es ſich lohnt gelebt, ſo viel Qualen ausgeſtanden
III. 12
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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