frei aus, weil sein Herz rein geblieben, nur die Gewalt der Umstände ihn zur That trieb. Dagegen wie man¬ cher, der nichts gethan, was die Sinne fassen, ist schon verdammt, weil er in der Stille seinen sündhaften Regungen nachging, weil er in Gedanken gegen Got¬ tes Gesetze sündigte. Wie leicht lullen wir uns in süße Verstellung ein, es sei nicht schlimm was wir denken; wir lügen uns edle Absichten vor, oder glau¬ ben, es sind ja nur Phantasieen, und wenn es zur Ausführung kommt, so würden wir stark sein und ihnen widerstehen. Ach, meine Liebe, wir sind nicht stark, und Gedankensünden sind oft die schwersten, die wir begehen können."
Die Fürstin mußte heute selbst so von ihren eigenen Gedanken bedrängt und verwirrt sein, daß ihre diplomatische Kunst sie in dem, was sie laut sprach, zu verlassen schien. Sie hatte nichts von dem neuen peinlichen Eindruck gemerkt, den diese Tröstung auf die Baronin hervorgebracht, die plötzlich sich auf den Boden des Wagens niedersenkte, und die Knie der Fürstin umfaßte:
"Ach, ich verstehe Sie, schluchzte die schöne Frau, aber -- ich konnte nicht anders."
"Meine Liebe, Gute, beruhigen Sie sich, sprach die Fürstin, die eine neue Specialbeichte fürchtete, und nichts weniger als Lust hatte, den Beichtvater abzu¬ geben. In solchen großen Welt-Katastrophen hat das Auge droben weniger Acht -- ich wollte sagen, es sieht milde und gnädig auf die kleinen Vergehungen herab."
frei aus, weil ſein Herz rein geblieben, nur die Gewalt der Umſtände ihn zur That trieb. Dagegen wie man¬ cher, der nichts gethan, was die Sinne faſſen, iſt ſchon verdammt, weil er in der Stille ſeinen ſündhaften Regungen nachging, weil er in Gedanken gegen Got¬ tes Geſetze ſündigte. Wie leicht lullen wir uns in ſüße Verſtellung ein, es ſei nicht ſchlimm was wir denken; wir lügen uns edle Abſichten vor, oder glau¬ ben, es ſind ja nur Phantaſieen, und wenn es zur Ausführung kommt, ſo würden wir ſtark ſein und ihnen widerſtehen. Ach, meine Liebe, wir ſind nicht ſtark, und Gedankenſünden ſind oft die ſchwerſten, die wir begehen können.“
Die Fürſtin mußte heute ſelbſt ſo von ihren eigenen Gedanken bedrängt und verwirrt ſein, daß ihre diplomatiſche Kunſt ſie in dem, was ſie laut ſprach, zu verlaſſen ſchien. Sie hatte nichts von dem neuen peinlichen Eindruck gemerkt, den dieſe Tröſtung auf die Baronin hervorgebracht, die plötzlich ſich auf den Boden des Wagens niederſenkte, und die Knie der Fürſtin umfaßte:
„Ach, ich verſtehe Sie, ſchluchzte die ſchöne Frau, aber — ich konnte nicht anders.“
„Meine Liebe, Gute, beruhigen Sie ſich, ſprach die Fürſtin, die eine neue Specialbeichte fürchtete, und nichts weniger als Luſt hatte, den Beichtvater abzu¬ geben. In ſolchen großen Welt-Kataſtrophen hat das Auge droben weniger Acht — ich wollte ſagen, es ſieht milde und gnädig auf die kleinen Vergehungen herab.“
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der Umſtände ihn zur That trieb. Dagegen wie man¬
cher, der nichts gethan, was die Sinne faſſen, iſt ſchon
verdammt, weil er in der Stille ſeinen ſündhaften
Regungen nachging, weil er in Gedanken gegen Got¬
tes Geſetze ſündigte. Wie leicht lullen wir uns in
ſüße Verſtellung ein, es ſei nicht ſchlimm was wir
denken; wir lügen uns edle Abſichten vor, oder glau¬
ben, es ſind ja nur Phantaſieen, und wenn es zur
Ausführung kommt, ſo würden wir ſtark ſein und
ihnen widerſtehen. Ach, meine Liebe, wir ſind nicht
ſtark, und Gedankenſünden ſind oft die ſchwerſten,
die wir begehen können.“
Die Fürſtin mußte heute ſelbſt ſo von ihren
eigenen Gedanken bedrängt und verwirrt ſein, daß
ihre diplomatiſche Kunſt ſie in dem, was ſie laut
ſprach, zu verlaſſen ſchien. Sie hatte nichts von dem
neuen peinlichen Eindruck gemerkt, den dieſe Tröſtung
auf die Baronin hervorgebracht, die plötzlich ſich auf
den Boden des Wagens niederſenkte, und die Knie
der Fürſtin umfaßte:
„Ach, ich verſtehe Sie, ſchluchzte die ſchöne Frau,
aber — ich konnte nicht anders.“
„Meine Liebe, Gute, beruhigen Sie ſich, ſprach
die Fürſtin, die eine neue Specialbeichte fürchtete, und
nichts weniger als Luſt hatte, den Beichtvater abzu¬
geben. In ſolchen großen Welt-Kataſtrophen hat das
Auge droben weniger Acht — ich wollte ſagen, es ſieht
milde und gnädig auf die kleinen Vergehungen herab.“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/186>, abgerufen am 08.07.2024.
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