eine andre Wahrheit lauert, als die sichtbare, das hielt damals das Preußische Volk für unmöglich. Es glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre seines Staates.
Weil es glaubte, war es froh. In der Freude das Maaß der Schönheit beobachten ist nicht allen Völkern gegeben. Die Lustigkeit brach roh heraus. Wenn der Kosack die Peitsche wirbelte, jubelten sie ihn an, sein Hurrah erwiedernd: "Los auf die Franzosen!" Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬ flaschen. Die Flaschen gingen auch im Volk von Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name Roßbach schallten unter einem Gelächter, daß man¬ chem die schönen Namen in der Gesellschaft leid thun konnten.
Das mußte auch Einem so gehen, der sich unter die dichtesten Haufen gemischt; er wollte die Volks¬ stimme hören. Aber Walter van Asten fand nirgend die Volksstimme, die er suchte. Ihm schien die Freude empörend, mit der man dem Kosacken die Hände schüttelte, seine Stiefel, Sporen betastete, den Schweif seines Rosses streichelte. Einer im Haufen machte den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬ aufgedunsenem Gesicht, mahlte er den Zuschauern, wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür schallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte.
Wo waren denn die Patrioten, die Walter suchte? Er mußte in einer bösen Stimmung sein; wo er ging, wohin sein Auge fiel, sah er nicht was er erwartet. Im Volke Rohheit, blödsinnige Hoffnungen, in den
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eine andre Wahrheit lauert, als die ſichtbare, das hielt damals das Preußiſche Volk für unmöglich. Es glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre ſeines Staates.
Weil es glaubte, war es froh. In der Freude das Maaß der Schönheit beobachten iſt nicht allen Völkern gegeben. Die Luſtigkeit brach roh heraus. Wenn der Koſack die Peitſche wirbelte, jubelten ſie ihn an, ſein Hurrah erwiedernd: „Los auf die Franzoſen!“ Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬ flaſchen. Die Flaſchen gingen auch im Volk von Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name Roßbach ſchallten unter einem Gelächter, daß man¬ chem die ſchönen Namen in der Geſellſchaft leid thun konnten.
Das mußte auch Einem ſo gehen, der ſich unter die dichteſten Haufen gemiſcht; er wollte die Volks¬ ſtimme hören. Aber Walter van Aſten fand nirgend die Volksſtimme, die er ſuchte. Ihm ſchien die Freude empörend, mit der man dem Koſacken die Hände ſchüttelte, ſeine Stiefel, Sporen betaſtete, den Schweif ſeines Roſſes ſtreichelte. Einer im Haufen machte den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬ aufgedunſenem Geſicht, mahlte er den Zuſchauern, wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür ſchallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte.
Wo waren denn die Patrioten, die Walter ſuchte? Er mußte in einer böſen Stimmung ſein; wo er ging, wohin ſein Auge fiel, ſah er nicht was er erwartet. Im Volke Rohheit, blödſinnige Hoffnungen, in den
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eine andre Wahrheit lauert, als die ſichtbare, das
hielt damals das Preußiſche Volk für unmöglich. Es
glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre ſeines Staates.
Weil es glaubte, war es froh. In der Freude
das Maaß der Schönheit beobachten iſt nicht allen
Völkern gegeben. Die Luſtigkeit brach roh heraus.
Wenn der Koſack die Peitſche wirbelte, jubelten ſie ihn
an, ſein Hurrah erwiedernd: „Los auf die Franzoſen!“
Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬
flaſchen. Die Flaſchen gingen auch im Volk von
Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name
Roßbach ſchallten unter einem Gelächter, daß man¬
chem die ſchönen Namen in der Geſellſchaft leid thun
konnten.
Das mußte auch Einem ſo gehen, der ſich unter
die dichteſten Haufen gemiſcht; er wollte die Volks¬
ſtimme hören. Aber Walter van Aſten fand nirgend
die Volksſtimme, die er ſuchte. Ihm ſchien die Freude
empörend, mit der man dem Koſacken die Hände
ſchüttelte, ſeine Stiefel, Sporen betaſtete, den Schweif
ſeines Roſſes ſtreichelte. Einer im Haufen machte
den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬
aufgedunſenem Geſicht, mahlte er den Zuſchauern,
wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür
ſchallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte.
Wo waren denn die Patrioten, die Walter ſuchte?
Er mußte in einer böſen Stimmung ſein; wo er ging,
wohin ſein Auge fiel, ſah er nicht was er erwartet.
Im Volke Rohheit, blödſinnige Hoffnungen, in den
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/125>, abgerufen am 16.02.2025.
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