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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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mittelungen, Organe und Bezüge ihnen abgingen,
welche die Erwählten mit dem in Verbindung setzen,
was ihnen als Herz gilt, doch wußten diese Massen
weit mehr als jene. Ein Tropfen Blut färbt ein
Glas mit Wasser, ein Wort, eine hingestreute Nach¬
richt, durchfliegt, bewegt, entzündet die Massen. Jene
üben die Kritik der Phantasie, um ihre Denkkraft zu
zersplittern bis zur Nichtigkeit, diese lassen sich be¬
rauschen von einem Wink, Blick, Schall, ohne ihn
zu prüfen. Jene legen die Empfängniß auf einen
Destilirkolben, der auch den Diamant in Rauch zer¬
setzt, bei diesen fällt sie in den Zauberkessel des
Glaubens, und steigt und schwillt zu einem riesigen
Dunstphantom in die Lüfte.

Warum konnte denn Kaiser Alexander nach
Berlin gekommen sein, warum hatte man ihn nach
Potsdam feierlich abgeholt? Warum hatten sich die
hohen Herrschaften als Familie abgeschlossen? Warum
war der Erzherzog Anton da, und die hohe Gene¬
ralität in Gala? Es muß eine systematische Depra¬
vation vorangegangen sein, wenn das Volk bei außer¬
ordentlichen Akten an eine Komödie denken soll. Es
war vieles in Preußen vorangegangen, was das Volk
geschmerzt, gekränkt, es hatte viele Männer hassen
gelernt, und hielt andere für fähig, es täuschen und
verrathen zu wollen, aber daß die höchsten Behörden,
Minister und Generale, die Regierung in ihrer Ge¬
sammtheit, daß der Hof, der König und der Kaiser
ein großes Schauspiel vor ihm aufführe, hinter dem

mittelungen, Organe und Bezüge ihnen abgingen,
welche die Erwählten mit dem in Verbindung ſetzen,
was ihnen als Herz gilt, doch wußten dieſe Maſſen
weit mehr als jene. Ein Tropfen Blut färbt ein
Glas mit Waſſer, ein Wort, eine hingeſtreute Nach¬
richt, durchfliegt, bewegt, entzündet die Maſſen. Jene
üben die Kritik der Phantaſie, um ihre Denkkraft zu
zerſplittern bis zur Nichtigkeit, dieſe laſſen ſich be¬
rauſchen von einem Wink, Blick, Schall, ohne ihn
zu prüfen. Jene legen die Empfängniß auf einen
Deſtilirkolben, der auch den Diamant in Rauch zer¬
ſetzt, bei dieſen fällt ſie in den Zauberkeſſel des
Glaubens, und ſteigt und ſchwillt zu einem rieſigen
Dunſtphantom in die Lüfte.

Warum konnte denn Kaiſer Alexander nach
Berlin gekommen ſein, warum hatte man ihn nach
Potsdam feierlich abgeholt? Warum hatten ſich die
hohen Herrſchaften als Familie abgeſchloſſen? Warum
war der Erzherzog Anton da, und die hohe Gene¬
ralität in Gala? Es muß eine ſyſtematiſche Depra¬
vation vorangegangen ſein, wenn das Volk bei außer¬
ordentlichen Akten an eine Komödie denken ſoll. Es
war vieles in Preußen vorangegangen, was das Volk
geſchmerzt, gekränkt, es hatte viele Männer haſſen
gelernt, und hielt andere für fähig, es täuſchen und
verrathen zu wollen, aber daß die höchſten Behörden,
Miniſter und Generale, die Regierung in ihrer Ge¬
ſammtheit, daß der Hof, der König und der Kaiſer
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[114/0124] mittelungen, Organe und Bezüge ihnen abgingen, welche die Erwählten mit dem in Verbindung ſetzen, was ihnen als Herz gilt, doch wußten dieſe Maſſen weit mehr als jene. Ein Tropfen Blut färbt ein Glas mit Waſſer, ein Wort, eine hingeſtreute Nach¬ richt, durchfliegt, bewegt, entzündet die Maſſen. Jene üben die Kritik der Phantaſie, um ihre Denkkraft zu zerſplittern bis zur Nichtigkeit, dieſe laſſen ſich be¬ rauſchen von einem Wink, Blick, Schall, ohne ihn zu prüfen. Jene legen die Empfängniß auf einen Deſtilirkolben, der auch den Diamant in Rauch zer¬ ſetzt, bei dieſen fällt ſie in den Zauberkeſſel des Glaubens, und ſteigt und ſchwillt zu einem rieſigen Dunſtphantom in die Lüfte. Warum konnte denn Kaiſer Alexander nach Berlin gekommen ſein, warum hatte man ihn nach Potsdam feierlich abgeholt? Warum hatten ſich die hohen Herrſchaften als Familie abgeſchloſſen? Warum war der Erzherzog Anton da, und die hohe Gene¬ ralität in Gala? Es muß eine ſyſtematiſche Depra¬ vation vorangegangen ſein, wenn das Volk bei außer¬ ordentlichen Akten an eine Komödie denken ſoll. Es war vieles in Preußen vorangegangen, was das Volk geſchmerzt, gekränkt, es hatte viele Männer haſſen gelernt, und hielt andere für fähig, es täuſchen und verrathen zu wollen, aber daß die höchſten Behörden, Miniſter und Generale, die Regierung in ihrer Ge¬ ſammtheit, daß der Hof, der König und der Kaiſer ein großes Schauſpiel vor ihm aufführe, hinter dem

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/124>, abgerufen am 24.11.2024.