leugne ja gar nicht, was zu Tage liegt, man war mit der Absicht, eine Eventualität ins Auge zu fassen, gekommen, aber bei reiferer Betrachtung der Dinge giebt man die mörderische Absicht wieder auf."
"Excellenz haben vermuthlich die Dinge sehr nahe betrachtet?"
"Ich kam auf dem Umweg über Sanssouci. Das herbstliche Laub giebt eine wunderliche Schatti¬ rung. Sie sollten dahin ein Ausflug machen. Herr von Stein ging an mir vorüber, ohne mich zu sehen. Ich mache nun wirklich nicht Ansprüche ein Menschen¬ kenner zu sein. Aber ein A B C Schüler konnte auf seinem Gesicht lesen, daß seine Kriegsplane nicht durch¬ gegangen sind. Ein Biedermann, ein scharfer Ver¬ stand, mit einem Wort ein Kraftgenie, dieser Herr von Stein. Wirklich schade, daß er ein Ideologe ist."
"Wie unterscheiden Sie Komödien von Tra¬ gödien?" fragte etwas spitz die Fürstin.
"Das Characteristische einer Tragödie, sagen wenigstens die Aesthetiker, sei, daß die Helden zuletzt isolirt dastehen, im Gefängniß oder am Schaffot. In der Komödie gruppiren sie sich dagegen zum Schluß immer dichter aneinander. Alle heitern und lustigen Figuren die sich durch fünf Acte gesucht, finden sich; die Fältchen und die Runzeln werden ausgeglättet, die Mißverständnisse aufgeklärt. So kommt mir die ganze Weltgeschichte in ihrer jetzigen Entwickelung wie ein großes Lustspiel vor. Früher isolirt, finden sich jetzt nicht mehr die einzelnen Personen, nein ganze Staaten,
leugne ja gar nicht, was zu Tage liegt, man war mit der Abſicht, eine Eventualität ins Auge zu faſſen, gekommen, aber bei reiferer Betrachtung der Dinge giebt man die mörderiſche Abſicht wieder auf.“
„Excellenz haben vermuthlich die Dinge ſehr nahe betrachtet?“
„Ich kam auf dem Umweg über Sansſouci. Das herbſtliche Laub giebt eine wunderliche Schatti¬ rung. Sie ſollten dahin ein Ausflug machen. Herr von Stein ging an mir vorüber, ohne mich zu ſehen. Ich mache nun wirklich nicht Anſprüche ein Menſchen¬ kenner zu ſein. Aber ein A B C Schüler konnte auf ſeinem Geſicht leſen, daß ſeine Kriegsplane nicht durch¬ gegangen ſind. Ein Biedermann, ein ſcharfer Ver¬ ſtand, mit einem Wort ein Kraftgenie, dieſer Herr von Stein. Wirklich ſchade, daß er ein Ideologe iſt.“
„Wie unterſcheiden Sie Komödien von Tra¬ gödien?“ fragte etwas ſpitz die Fürſtin.
„Das Characteriſtiſche einer Tragödie, ſagen wenigſtens die Aeſthetiker, ſei, daß die Helden zuletzt iſolirt daſtehen, im Gefängniß oder am Schaffot. In der Komödie gruppiren ſie ſich dagegen zum Schluß immer dichter aneinander. Alle heitern und luſtigen Figuren die ſich durch fünf Acte geſucht, finden ſich; die Fältchen und die Runzeln werden ausgeglättet, die Mißverſtändniſſe aufgeklärt. So kommt mir die ganze Weltgeſchichte in ihrer jetzigen Entwickelung wie ein großes Luſtſpiel vor. Früher iſolirt, finden ſich jetzt nicht mehr die einzelnen Perſonen, nein ganze Staaten,
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leugne ja gar nicht, was zu Tage liegt, man war
mit der Abſicht, eine Eventualität ins Auge zu faſſen,
gekommen, aber bei reiferer Betrachtung der Dinge
giebt man die mörderiſche Abſicht wieder auf.“
„Excellenz haben vermuthlich die Dinge ſehr nahe
betrachtet?“
„Ich kam auf dem Umweg über Sansſouci.
Das herbſtliche Laub giebt eine wunderliche Schatti¬
rung. Sie ſollten dahin ein Ausflug machen. Herr
von Stein ging an mir vorüber, ohne mich zu ſehen.
Ich mache nun wirklich nicht Anſprüche ein Menſchen¬
kenner zu ſein. Aber ein A B C Schüler konnte auf
ſeinem Geſicht leſen, daß ſeine Kriegsplane nicht durch¬
gegangen ſind. Ein Biedermann, ein ſcharfer Ver¬
ſtand, mit einem Wort ein Kraftgenie, dieſer Herr
von Stein. Wirklich ſchade, daß er ein Ideologe iſt.“
„Wie unterſcheiden Sie Komödien von Tra¬
gödien?“ fragte etwas ſpitz die Fürſtin.
„Das Characteriſtiſche einer Tragödie, ſagen
wenigſtens die Aeſthetiker, ſei, daß die Helden zuletzt
iſolirt daſtehen, im Gefängniß oder am Schaffot. In
der Komödie gruppiren ſie ſich dagegen zum Schluß
immer dichter aneinander. Alle heitern und luſtigen
Figuren die ſich durch fünf Acte geſucht, finden ſich; die
Fältchen und die Runzeln werden ausgeglättet, die
Mißverſtändniſſe aufgeklärt. So kommt mir die ganze
Weltgeſchichte in ihrer jetzigen Entwickelung wie ein
großes Luſtſpiel vor. Früher iſolirt, finden ſich jetzt
nicht mehr die einzelnen Perſonen, nein ganze Staaten,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/117>, abgerufen am 16.02.2025.
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