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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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trage, ob man um seiner Feinde willen seine Freunde
vergessen dürfe? Ob er einen bessern Freund habe
als Alexander? Ob irgend ein anderer Freund so
gütig seine herben Launen würde hingenommen haben?
Was er sagen würde, wenn der Kaiser aufgebracht,
das Zimmer verlassen, sich in den Wagen geworfen
und aufgebrochen wäre? Und was die Welt dazu
sagen würde, wenn Alexander -- nach solchem Em¬
barras, scheide, breche? Ob das nicht ein Bruch mit
Rußland, mit den Alliirten wäre? Ob Napoleon
wenigstens das nicht so ansehn müsse? Ob er mit
Gewalt in dessen Arme wolle gestoßen sein?"

Der Legationsrath neigte sich zum Ohr der
Fürstin: "Ein moralischer Coup. Irgend eine At¬
trape -- um Mitternacht meint man. Worin sie
bestehen wird, ist noch Geheimniß."

"Doch keine Geistererscheinung!" Die Fürstin sah
ihn mißtrauisch an. "Die kämen im Jahre 1805 um
zehn zu spät. Und woher wissen Sie es?"

Der Legationsrath beugte sich wieder ans Ohr
der Fürstin, als die Thür aufgerissen ward, und der
Jäger hereinrief:

"Excellenz, Minister Laforest!"

"Laforest!" hallte es leise wieder von den Lippen;
die Gesichter schienen zu erblassen wie vor einer Geister¬
erscheinung. Aber Laforests Eintritt verscheuchte den
Eindruck. Ihm voraus sprang ein großes schönes
Windspiel; er selbst im eleganten hellen Neglige¬
überrock glich mehr einem Engländer als einem Fran¬

trage, ob man um ſeiner Feinde willen ſeine Freunde
vergeſſen dürfe? Ob er einen beſſern Freund habe
als Alexander? Ob irgend ein anderer Freund ſo
gütig ſeine herben Launen würde hingenommen haben?
Was er ſagen würde, wenn der Kaiſer aufgebracht,
das Zimmer verlaſſen, ſich in den Wagen geworfen
und aufgebrochen wäre? Und was die Welt dazu
ſagen würde, wenn Alexander — nach ſolchem Em¬
barras, ſcheide, breche? Ob das nicht ein Bruch mit
Rußland, mit den Alliirten wäre? Ob Napoleon
wenigſtens das nicht ſo anſehn müſſe? Ob er mit
Gewalt in deſſen Arme wolle geſtoßen ſein?“

Der Legationsrath neigte ſich zum Ohr der
Fürſtin: „Ein moraliſcher Coup. Irgend eine At¬
trape — um Mitternacht meint man. Worin ſie
beſtehen wird, iſt noch Geheimniß.“

„Doch keine Geiſtererſcheinung!“ Die Fürſtin ſah
ihn mißtrauiſch an. „Die kämen im Jahre 1805 um
zehn zu ſpät. Und woher wiſſen Sie es?“

Der Legationsrath beugte ſich wieder ans Ohr
der Fürſtin, als die Thür aufgeriſſen ward, und der
Jäger hereinrief:

„Excellenz, Miniſter Laforeſt!“

„Laforeſt!“ hallte es leiſe wieder von den Lippen;
die Geſichter ſchienen zu erblaſſen wie vor einer Geiſter¬
erſcheinung. Aber Laforeſts Eintritt verſcheuchte den
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Windſpiel; er ſelbſt im eleganten hellen Negligé¬
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[105/0115] trage, ob man um ſeiner Feinde willen ſeine Freunde vergeſſen dürfe? Ob er einen beſſern Freund habe als Alexander? Ob irgend ein anderer Freund ſo gütig ſeine herben Launen würde hingenommen haben? Was er ſagen würde, wenn der Kaiſer aufgebracht, das Zimmer verlaſſen, ſich in den Wagen geworfen und aufgebrochen wäre? Und was die Welt dazu ſagen würde, wenn Alexander — nach ſolchem Em¬ barras, ſcheide, breche? Ob das nicht ein Bruch mit Rußland, mit den Alliirten wäre? Ob Napoleon wenigſtens das nicht ſo anſehn müſſe? Ob er mit Gewalt in deſſen Arme wolle geſtoßen ſein?“ Der Legationsrath neigte ſich zum Ohr der Fürſtin: „Ein moraliſcher Coup. Irgend eine At¬ trape — um Mitternacht meint man. Worin ſie beſtehen wird, iſt noch Geheimniß.“ „Doch keine Geiſtererſcheinung!“ Die Fürſtin ſah ihn mißtrauiſch an. „Die kämen im Jahre 1805 um zehn zu ſpät. Und woher wiſſen Sie es?“ Der Legationsrath beugte ſich wieder ans Ohr der Fürſtin, als die Thür aufgeriſſen ward, und der Jäger hereinrief: „Excellenz, Miniſter Laforeſt!“ „Laforeſt!“ hallte es leiſe wieder von den Lippen; die Geſichter ſchienen zu erblaſſen wie vor einer Geiſter¬ erſcheinung. Aber Laforeſts Eintritt verſcheuchte den Eindruck. Ihm voraus ſprang ein großes ſchönes Windſpiel; er ſelbſt im eleganten hellen Negligé¬ überrock glich mehr einem Engländer als einem Fran¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/115>, abgerufen am 21.11.2024.