Erstes Kapitel. Gewitterschläge am schwülen Himmel.
Im Hause der Geheimräthin war es seit jenem glänzenden Abend still hergegangen; aber es war eine Stille, die von sich sprechen machte. Sie litt an Congestionen des Blutes, Beklemmungen des Herzens, und klagte über Visionen. Im Kreise der ihr liebsten Menschen sah sie oft andre Gesichter. Sie redete eine Person an, und meinte eine andre; aber sie betheuerte, sie wisse sich darüber genau Rechen¬ schaft, wenn der Zustand vorüber. Es wären nur nervöse Affectionen, über die die Aerzte keine Aus¬ kunft geben könnten. Sie sprach bitter von den Doctoren, und wollte nicht mehr von ihnen behan¬ delt sein.
Die Gevatterinnen urtheilten verschieden über ihren Zustand. Sollte auch die Lupinus sich der Schwärmerei, dem Mysticismus, in die Arme ge¬ worfen haben, sie, auf deren Tisch man immer Moses Mendelssohn aufgeschlagen fand! Zwar etwas clair¬ voyant war sie schon in letzter Zeit gewesen, aber
III. 1
Erſtes Kapitel. Gewitterſchläge am ſchwülen Himmel.
Im Hauſe der Geheimräthin war es ſeit jenem glänzenden Abend ſtill hergegangen; aber es war eine Stille, die von ſich ſprechen machte. Sie litt an Congeſtionen des Blutes, Beklemmungen des Herzens, und klagte über Viſionen. Im Kreiſe der ihr liebſten Menſchen ſah ſie oft andre Geſichter. Sie redete eine Perſon an, und meinte eine andre; aber ſie betheuerte, ſie wiſſe ſich darüber genau Rechen¬ ſchaft, wenn der Zuſtand vorüber. Es wären nur nervöſe Affectionen, über die die Aerzte keine Aus¬ kunft geben könnten. Sie ſprach bitter von den Doctoren, und wollte nicht mehr von ihnen behan¬ delt ſein.
Die Gevatterinnen urtheilten verſchieden über ihren Zuſtand. Sollte auch die Lupinus ſich der Schwärmerei, dem Myſticismus, in die Arme ge¬ worfen haben, ſie, auf deren Tiſch man immer Moſes Mendelsſohn aufgeſchlagen fand! Zwar etwas clair¬ voyant war ſie ſchon in letzter Zeit geweſen, aber
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Erſtes Kapitel.
Gewitterſchläge am ſchwülen Himmel.
Im Hauſe der Geheimräthin war es ſeit jenem
glänzenden Abend ſtill hergegangen; aber es war
eine Stille, die von ſich ſprechen machte. Sie litt
an Congeſtionen des Blutes, Beklemmungen des
Herzens, und klagte über Viſionen. Im Kreiſe der
ihr liebſten Menſchen ſah ſie oft andre Geſichter. Sie
redete eine Perſon an, und meinte eine andre; aber
ſie betheuerte, ſie wiſſe ſich darüber genau Rechen¬
ſchaft, wenn der Zuſtand vorüber. Es wären nur
nervöſe Affectionen, über die die Aerzte keine Aus¬
kunft geben könnten. Sie ſprach bitter von den
Doctoren, und wollte nicht mehr von ihnen behan¬
delt ſein.
Die Gevatterinnen urtheilten verſchieden über
ihren Zuſtand. Sollte auch die Lupinus ſich der
Schwärmerei, dem Myſticismus, in die Arme ge¬
worfen haben, ſie, auf deren Tiſch man immer Moſes
Mendelsſohn aufgeſchlagen fand! Zwar etwas clair¬
voyant war ſie ſchon in letzter Zeit geweſen, aber
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/11>, abgerufen am 22.12.2024.
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