Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Legationsrath ließ einen seiner undurch¬
dringlichen Blicke an der Diele haften, einen der
Blicke, welche die tiefste Absorbirung der Gedanken
ausdrücken; man will indeß behaupten, daß auch die
Kunst solche Blicke gebrauche, um den Mangel an
Gedanken zu verbergen: "Ach, meine Freundin, was
verräth uns mehr welche Leerheit rings um uns ist,
als dieses Haschen nach Geheimnissen, die nicht da
sind. Weil sie aus sich heraus nichts schaffen können,
weil sie sich selbst nichts sind, darum haschen sie nach
einem Spielwerk, und ein unbekannter Fremder wird
zu einem Räthsel, weil er vielleicht seinen Rock anders
zuknöpft, anders den Hut abnimmt, einen andern
Ton auf die Worte legt als hier alltäglich ist."

"Da ich immerwährend bestürmt werde, sagen

Sie mir was ich den Leuten sagen, oder wenigstens,
was ich ihnen verschweigen soll --"

"Verschweigen! Mein Gott, ist denn zwischen
uns ein Geheimniß! Malen Sie mich Ihren Be¬
kannten, wie Sie wollen. Eine solche Meisterin
wird immer das Richtige treffen. Warum ich hier
bin, das ist ja wohl das interessanteste Räthsel. Ich
soll Emissair sein, Gott weiß von welchen Illumi¬
naten- oder Freimaurer-Orden, obgleich diese Albern¬
heiten längst aus der Mode sind! Ich bin geheimer
Envoye einer Macht, man weiß nur nicht welcher.
Nicht wahr? Natürlich soll ich Staatsgeheimnisse
ausspioniren! Ja wenn nur deren hier wären! Und
da ich an der Tafel der Minister, der Prinzen speise,

Der Legationsrath ließ einen ſeiner undurch¬
dringlichen Blicke an der Diele haften, einen der
Blicke, welche die tiefſte Abſorbirung der Gedanken
ausdrücken; man will indeß behaupten, daß auch die
Kunſt ſolche Blicke gebrauche, um den Mangel an
Gedanken zu verbergen: „Ach, meine Freundin, was
verräth uns mehr welche Leerheit rings um uns iſt,
als dieſes Haſchen nach Geheimniſſen, die nicht da
ſind. Weil ſie aus ſich heraus nichts ſchaffen können,
weil ſie ſich ſelbſt nichts ſind, darum haſchen ſie nach
einem Spielwerk, und ein unbekannter Fremder wird
zu einem Räthſel, weil er vielleicht ſeinen Rock anders
zuknöpft, anders den Hut abnimmt, einen andern
Ton auf die Worte legt als hier alltäglich iſt.“

„Da ich immerwährend beſtürmt werde, ſagen

Sie mir was ich den Leuten ſagen, oder wenigſtens,
was ich ihnen verſchweigen ſoll —“

„Verſchweigen! Mein Gott, iſt denn zwiſchen
uns ein Geheimniß! Malen Sie mich Ihren Be¬
kannten, wie Sie wollen. Eine ſolche Meiſterin
wird immer das Richtige treffen. Warum ich hier
bin, das iſt ja wohl das intereſſanteſte Räthſel. Ich
ſoll Emiſſair ſein, Gott weiß von welchen Illumi¬
naten- oder Freimaurer-Orden, obgleich dieſe Albern¬
heiten längſt aus der Mode ſind! Ich bin geheimer
Envoyé einer Macht, man weiß nur nicht welcher.
Nicht wahr? Natürlich ſoll ich Staatsgeheimniſſe
ausſpioniren! Ja wenn nur deren hier wären! Und
da ich an der Tafel der Miniſter, der Prinzen ſpeiſe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0080" n="70"/>
        <p>Der Legationsrath ließ einen &#x017F;einer undurch¬<lb/>
dringlichen Blicke an der Diele haften, einen der<lb/>
Blicke, welche die tief&#x017F;te Ab&#x017F;orbirung der Gedanken<lb/>
ausdrücken; man will indeß behaupten, daß auch die<lb/>
Kun&#x017F;t &#x017F;olche Blicke gebrauche, um den Mangel an<lb/>
Gedanken zu verbergen: &#x201E;Ach, meine Freundin, was<lb/>
verräth uns mehr welche Leerheit rings um uns i&#x017F;t,<lb/>
als die&#x017F;es Ha&#x017F;chen nach Geheimni&#x017F;&#x017F;en, die nicht da<lb/>
&#x017F;ind. Weil &#x017F;ie aus &#x017F;ich heraus nichts &#x017F;chaffen können,<lb/>
weil &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nichts &#x017F;ind, darum ha&#x017F;chen &#x017F;ie nach<lb/>
einem Spielwerk, und ein unbekannter Fremder wird<lb/>
zu einem Räth&#x017F;el, weil er vielleicht &#x017F;einen Rock anders<lb/>
zuknöpft, anders den Hut abnimmt, einen andern<lb/>
Ton auf die Worte legt als hier alltäglich i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Da ich immerwährend be&#x017F;türmt werde, &#x017F;agen</p><lb/>
        <p>Sie mir was ich den Leuten &#x017F;agen, oder wenig&#x017F;tens,<lb/>
was ich ihnen ver&#x017F;chweigen &#x017F;oll &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ver&#x017F;chweigen! Mein Gott, i&#x017F;t denn zwi&#x017F;chen<lb/>
uns ein Geheimniß! Malen Sie mich Ihren Be¬<lb/>
kannten, wie Sie wollen. Eine &#x017F;olche Mei&#x017F;terin<lb/>
wird immer das Richtige treffen. Warum ich hier<lb/>
bin, das i&#x017F;t ja wohl das intere&#x017F;&#x017F;ante&#x017F;te Räth&#x017F;el. Ich<lb/>
&#x017F;oll Emi&#x017F;&#x017F;air &#x017F;ein, Gott weiß von welchen Illumi¬<lb/>
naten- oder Freimaurer-Orden, obgleich die&#x017F;e Albern¬<lb/>
heiten läng&#x017F;t aus der Mode &#x017F;ind! Ich bin geheimer<lb/>
Envoy<hi rendition="#aq">é</hi> einer Macht, man weiß nur nicht welcher.<lb/>
Nicht wahr? Natürlich &#x017F;oll ich Staatsgeheimni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
aus&#x017F;pioniren! Ja wenn nur deren hier wären! Und<lb/>
da ich an der Tafel der Mini&#x017F;ter, der Prinzen &#x017F;pei&#x017F;e,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0080] Der Legationsrath ließ einen ſeiner undurch¬ dringlichen Blicke an der Diele haften, einen der Blicke, welche die tiefſte Abſorbirung der Gedanken ausdrücken; man will indeß behaupten, daß auch die Kunſt ſolche Blicke gebrauche, um den Mangel an Gedanken zu verbergen: „Ach, meine Freundin, was verräth uns mehr welche Leerheit rings um uns iſt, als dieſes Haſchen nach Geheimniſſen, die nicht da ſind. Weil ſie aus ſich heraus nichts ſchaffen können, weil ſie ſich ſelbſt nichts ſind, darum haſchen ſie nach einem Spielwerk, und ein unbekannter Fremder wird zu einem Räthſel, weil er vielleicht ſeinen Rock anders zuknöpft, anders den Hut abnimmt, einen andern Ton auf die Worte legt als hier alltäglich iſt.“ „Da ich immerwährend beſtürmt werde, ſagen Sie mir was ich den Leuten ſagen, oder wenigſtens, was ich ihnen verſchweigen ſoll —“ „Verſchweigen! Mein Gott, iſt denn zwiſchen uns ein Geheimniß! Malen Sie mich Ihren Be¬ kannten, wie Sie wollen. Eine ſolche Meiſterin wird immer das Richtige treffen. Warum ich hier bin, das iſt ja wohl das intereſſanteſte Räthſel. Ich ſoll Emiſſair ſein, Gott weiß von welchen Illumi¬ naten- oder Freimaurer-Orden, obgleich dieſe Albern¬ heiten längſt aus der Mode ſind! Ich bin geheimer Envoyé einer Macht, man weiß nur nicht welcher. Nicht wahr? Natürlich ſoll ich Staatsgeheimniſſe ausſpioniren! Ja wenn nur deren hier wären! Und da ich an der Tafel der Miniſter, der Prinzen ſpeiſe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/80
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/80>, abgerufen am 23.11.2024.