"Aus der Geschichte nicht, meine Gnädigste. Sie ist ein großes Quodlibet, wo Platz ist für vieles. Nur aus dem Katechismus der Wenigen, streiche ich sie, welche wissen, was sie wollen."
"Und wie wenige Größen bleiben dann übrig," erwiederte die Geheimräthin.
"Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug. Cäsar blieb sich gleich bis zum Gipfelpunkt."
"Und fiel durch Mörderhand."
"Der rohe Zufall liegt außer unserer Berech¬ nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erstrebt. Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!"
"Wie hätte Cäsar den Arm des Brutus hem¬ men können, wenn er keine Ahnung seines Vorsatzes hatte!"
Der Legationsrath lächelte: "Cäsar hatte Ver¬ trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäsar war der große Mann, weil er sich selbst Alles ver¬ dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er nun genug gehandelt, daß nun das Schicksal für ihn wieder handeln müsse, weil er nicht, von der eignen Größe trunken, an eine Mission glaubte. Aber er irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch so¬ genannte menschliche Regungen haben, daß er, ohne ein bestimmtes Interesse, großmüthig sein dürfe. Er durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menschen spe¬ culiren, und er speculirte auf ihren Edelsinn. Er, in seiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn
„Aus der Geſchichte nicht, meine Gnädigſte. Sie iſt ein großes Quodlibet, wo Platz iſt für vieles. Nur aus dem Katechismus der Wenigen, ſtreiche ich ſie, welche wiſſen, was ſie wollen.“
„Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,“ erwiederte die Geheimräthin.
„Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug. Cäſar blieb ſich gleich bis zum Gipfelpunkt.“
„Und fiel durch Mörderhand.“
„Der rohe Zufall liegt außer unſerer Berech¬ nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erſtrebt. Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!“
„Wie hätte Cäſar den Arm des Brutus hem¬ men können, wenn er keine Ahnung ſeines Vorſatzes hatte!“
Der Legationsrath lächelte: „Cäſar hatte Ver¬ trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäſar war der große Mann, weil er ſich ſelbſt Alles ver¬ dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er nun genug gehandelt, daß nun das Schickſal für ihn wieder handeln müſſe, weil er nicht, von der eignen Größe trunken, an eine Miſſion glaubte. Aber er irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch ſo¬ genannte menſchliche Regungen haben, daß er, ohne ein beſtimmtes Intereſſe, großmüthig ſein dürfe. Er durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menſchen ſpe¬ culiren, und er ſpeculirte auf ihren Edelſinn. Er, in ſeiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0074"n="64"/>„Aus der Geſchichte nicht, meine Gnädigſte.<lb/>
Sie iſt ein großes Quodlibet, wo Platz iſt für vieles.<lb/>
Nur aus dem Katechismus der Wenigen, ſtreiche<lb/>
ich ſie, welche wiſſen, was ſie wollen.“</p><lb/><p>„Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,“<lb/>
erwiederte die Geheimräthin.</p><lb/><p>„Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug.<lb/>
Cäſar blieb ſich gleich bis zum Gipfelpunkt.“</p><lb/><p>„Und fiel durch Mörderhand.“</p><lb/><p>„Der rohe Zufall liegt außer unſerer Berech¬<lb/>
nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erſtrebt.<lb/>
Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!“</p><lb/><p>„Wie hätte Cäſar den Arm des Brutus hem¬<lb/>
men können, wenn er keine Ahnung ſeines Vorſatzes<lb/>
hatte!“</p><lb/><p>Der Legationsrath lächelte: „Cäſar hatte Ver¬<lb/>
trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäſar<lb/>
war der große Mann, weil er ſich ſelbſt Alles ver¬<lb/>
dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er<lb/>
nun genug gehandelt, daß nun das Schickſal für ihn<lb/>
wieder handeln müſſe, weil er nicht, von der eignen<lb/>
Größe trunken, an eine Miſſion glaubte. Aber er<lb/>
irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch ſo¬<lb/>
genannte menſchliche Regungen haben, daß er, ohne<lb/>
ein beſtimmtes Intereſſe, großmüthig ſein dürfe. Er<lb/>
durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menſchen ſpe¬<lb/>
culiren, und er ſpeculirte auf ihren Edelſinn. Er,<lb/>
in ſeiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur<lb/>
beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn<lb/></p></div></body></text></TEI>
[64/0074]
„Aus der Geſchichte nicht, meine Gnädigſte.
Sie iſt ein großes Quodlibet, wo Platz iſt für vieles.
Nur aus dem Katechismus der Wenigen, ſtreiche
ich ſie, welche wiſſen, was ſie wollen.“
„Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,“
erwiederte die Geheimräthin.
„Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug.
Cäſar blieb ſich gleich bis zum Gipfelpunkt.“
„Und fiel durch Mörderhand.“
„Der rohe Zufall liegt außer unſerer Berech¬
nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erſtrebt.
Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!“
„Wie hätte Cäſar den Arm des Brutus hem¬
men können, wenn er keine Ahnung ſeines Vorſatzes
hatte!“
Der Legationsrath lächelte: „Cäſar hatte Ver¬
trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäſar
war der große Mann, weil er ſich ſelbſt Alles ver¬
dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er
nun genug gehandelt, daß nun das Schickſal für ihn
wieder handeln müſſe, weil er nicht, von der eignen
Größe trunken, an eine Miſſion glaubte. Aber er
irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch ſo¬
genannte menſchliche Regungen haben, daß er, ohne
ein beſtimmtes Intereſſe, großmüthig ſein dürfe. Er
durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menſchen ſpe¬
culiren, und er ſpeculirte auf ihren Edelſinn. Er,
in ſeiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur
beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/74>, abgerufen am 01.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.