"Mama, ich glaube, ich hätte jedem sie ge¬ reicht, der mir entgegentrat, es war eine Angst, ich sah nichts mehr vor mir."
"Und der Legationsrath! -- Haben sich beide wieder erkannt?"
"Ich weiß es nicht. Der Legationsrath sah nur meine Angst. Aber -- dann hat er mich nach Haus geführt."
"Er -- Dich? Hierher? Wo ist er -- Was sagte er?"
"Liebe Mutter, zürnen Sie mir, ich weiß nichts von dem Gespräch. Ich horchte nur immer, ich bebte, ob er noch hinter uns wäre. Er wird mich für sehr kindisch gehalten haben."
"Ich will es Dir vergeben, weil Du beschämt warst, nicht mehr Muth gezeigt zu haben. Und vor dem herrlichen Mann, dessen Gegenwart schon Deine gesunkenen Geister erheben mußte! -- Aber mein Gott, wo ist er? Er hat Dich hergeführt. Warum kam er nicht mit herauf?"
Adelheids Geister waren nicht gehoben. Auf alle Fragen der Geheimräthin über ihren Begleiter, wußte sie kaum sich zu entsinnen, daß er beim Ab¬ schied gesagt, wenn er nicht zu einem Minister be¬ rufen, würde er sich sofort das Vergnügen gemacht haben, bei ihrer gütigen Pflegemutter anzusprechen. Adelheid ward mit dem Befehl entlassen, für ihre Toilette zu sorgen.
Die Geheimräthin war in sichtlicher Unruhe zurück¬
„Mama, ich glaube, ich hätte jedem ſie ge¬ reicht, der mir entgegentrat, es war eine Angſt, ich ſah nichts mehr vor mir.“
„Und der Legationsrath! — Haben ſich beide wieder erkannt?“
„Ich weiß es nicht. Der Legationsrath ſah nur meine Angſt. Aber — dann hat er mich nach Haus geführt.“
„Er — Dich? Hierher? Wo iſt er — Was ſagte er?“
„Liebe Mutter, zürnen Sie mir, ich weiß nichts von dem Geſpräch. Ich horchte nur immer, ich bebte, ob er noch hinter uns wäre. Er wird mich für ſehr kindiſch gehalten haben.“
„Ich will es Dir vergeben, weil Du beſchämt warſt, nicht mehr Muth gezeigt zu haben. Und vor dem herrlichen Mann, deſſen Gegenwart ſchon Deine geſunkenen Geiſter erheben mußte! — Aber mein Gott, wo iſt er? Er hat Dich hergeführt. Warum kam er nicht mit herauf?“
Adelheids Geiſter waren nicht gehoben. Auf alle Fragen der Geheimräthin über ihren Begleiter, wußte ſie kaum ſich zu entſinnen, daß er beim Ab¬ ſchied geſagt, wenn er nicht zu einem Miniſter be¬ rufen, würde er ſich ſofort das Vergnügen gemacht haben, bei ihrer gütigen Pflegemutter anzuſprechen. Adelheid ward mit dem Befehl entlaſſen, für ihre Toilette zu ſorgen.
Die Geheimräthin war in ſichtlicher Unruhe zurück¬
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„Mama, ich glaube, ich hätte jedem ſie ge¬
reicht, der mir entgegentrat, es war eine Angſt, ich
ſah nichts mehr vor mir.“
„Und der Legationsrath! — Haben ſich beide
wieder erkannt?“
„Ich weiß es nicht. Der Legationsrath ſah nur
meine Angſt. Aber — dann hat er mich nach Haus
geführt.“
„Er — Dich? Hierher? Wo iſt er — Was
ſagte er?“
„Liebe Mutter, zürnen Sie mir, ich weiß nichts
von dem Geſpräch. Ich horchte nur immer, ich bebte,
ob er noch hinter uns wäre. Er wird mich für ſehr
kindiſch gehalten haben.“
„Ich will es Dir vergeben, weil Du beſchämt
warſt, nicht mehr Muth gezeigt zu haben. Und vor
dem herrlichen Mann, deſſen Gegenwart ſchon Deine
geſunkenen Geiſter erheben mußte! — Aber mein
Gott, wo iſt er? Er hat Dich hergeführt. Warum
kam er nicht mit herauf?“
Adelheids Geiſter waren nicht gehoben. Auf
alle Fragen der Geheimräthin über ihren Begleiter,
wußte ſie kaum ſich zu entſinnen, daß er beim Ab¬
ſchied geſagt, wenn er nicht zu einem Miniſter be¬
rufen, würde er ſich ſofort das Vergnügen gemacht
haben, bei ihrer gütigen Pflegemutter anzuſprechen.
Adelheid ward mit dem Befehl entlaſſen, für ihre
Toilette zu ſorgen.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/67>, abgerufen am 17.02.2025.
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