Asten ist ein Philosoph, der sich die Welt construirt, wie ein Dichter sie ansieht. Nicht wahr, hat er Dir nicht gesagt, jeder Mensch soll gar nicht scheinen wol¬ len, sondern nur sein was er ist? Das klingt hübsch, aber die Menschen sähen sehr häßlich aus, wenn sie nichts thäten, um sich zu verschönern. Davon, mein Kind, macht keiner eine Ausnahme."
"Er selbst will gewiß nicht mehr scheinen als er ist -- "
"Sprich es nur aus, was Du verschluckst, Du meinst, er wäre sogar noch besser als er scheinen will. Nicht wahr, denkst Du es nicht bisweilen, wenn er in einer begeisterten Rede plötzlich inne hält, als wolle er etwas nicht sagen aus Bescheidenheit, wenn er die Augen abwendet, rasch auf ein anderes Thema übergeht! -- Und wenn er nun damit nichts wollte, als daß Du glauben solltest, er wäre und wisse noch weit mehr, als Du denkst?"
Adelheid sah sie groß an: "Dann wäre er ja ein abscheulicher Mensch!"
"Nicht schlimmer als andere. Ja er thäte ge¬ wissermaaßen nur seine Pflicht. Ein Arzt, ein Pre¬ diger und Lehrer, wenn sie wirken sollen, müssen einen Glauben an ihre Vortrefflichkeit um sich ver¬ breiten, damit ihre Patienten und Schüler an sie glauben."
"Er brauchte es gewiß nicht," sagte Adelheid.
"Da hast Du gewissermaßen wieder Recht. Er war ein guter Lateiner, wie mein Mann sagt, er hätte
Aſten iſt ein Philoſoph, der ſich die Welt conſtruirt, wie ein Dichter ſie anſieht. Nicht wahr, hat er Dir nicht geſagt, jeder Menſch ſoll gar nicht ſcheinen wol¬ len, ſondern nur ſein was er iſt? Das klingt hübſch, aber die Menſchen ſähen ſehr häßlich aus, wenn ſie nichts thäten, um ſich zu verſchönern. Davon, mein Kind, macht keiner eine Ausnahme.“
„Er ſelbſt will gewiß nicht mehr ſcheinen als er iſt — “
„Sprich es nur aus, was Du verſchluckſt, Du meinſt, er wäre ſogar noch beſſer als er ſcheinen will. Nicht wahr, denkſt Du es nicht bisweilen, wenn er in einer begeiſterten Rede plötzlich inne hält, als wolle er etwas nicht ſagen aus Beſcheidenheit, wenn er die Augen abwendet, raſch auf ein anderes Thema übergeht! — Und wenn er nun damit nichts wollte, als daß Du glauben ſollteſt, er wäre und wiſſe noch weit mehr, als Du denkſt?“
Adelheid ſah ſie groß an: „Dann wäre er ja ein abſcheulicher Menſch!“
„Nicht ſchlimmer als andere. Ja er thäte ge¬ wiſſermaaßen nur ſeine Pflicht. Ein Arzt, ein Pre¬ diger und Lehrer, wenn ſie wirken ſollen, müſſen einen Glauben an ihre Vortrefflichkeit um ſich ver¬ breiten, damit ihre Patienten und Schüler an ſie glauben.“
„Er brauchte es gewiß nicht,“ ſagte Adelheid.
„Da haſt Du gewiſſermaßen wieder Recht. Er war ein guter Lateiner, wie mein Mann ſagt, er hätte
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Aſten iſt ein Philoſoph, der ſich die Welt conſtruirt,
wie ein Dichter ſie anſieht. Nicht wahr, hat er Dir
nicht geſagt, jeder Menſch ſoll gar nicht ſcheinen wol¬
len, ſondern nur ſein was er iſt? Das klingt hübſch,
aber die Menſchen ſähen ſehr häßlich aus, wenn ſie
nichts thäten, um ſich zu verſchönern. Davon,
mein Kind, macht keiner eine Ausnahme.“
„Er ſelbſt will gewiß nicht mehr ſcheinen als
er iſt — “
„Sprich es nur aus, was Du verſchluckſt, Du
meinſt, er wäre ſogar noch beſſer als er ſcheinen will.
Nicht wahr, denkſt Du es nicht bisweilen, wenn er
in einer begeiſterten Rede plötzlich inne hält, als
wolle er etwas nicht ſagen aus Beſcheidenheit, wenn
er die Augen abwendet, raſch auf ein anderes Thema
übergeht! — Und wenn er nun damit nichts wollte,
als daß Du glauben ſollteſt, er wäre und wiſſe noch
weit mehr, als Du denkſt?“
Adelheid ſah ſie groß an: „Dann wäre er ja
ein abſcheulicher Menſch!“
„Nicht ſchlimmer als andere. Ja er thäte ge¬
wiſſermaaßen nur ſeine Pflicht. Ein Arzt, ein Pre¬
diger und Lehrer, wenn ſie wirken ſollen, müſſen
einen Glauben an ihre Vortrefflichkeit um ſich ver¬
breiten, damit ihre Patienten und Schüler an ſie
glauben.“
„Er brauchte es gewiß nicht,“ ſagte Adelheid.
„Da haſt Du gewiſſermaßen wieder Recht. Er
war ein guter Lateiner, wie mein Mann ſagt, er hätte
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/56>, abgerufen am 01.08.2024.
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