"Und doch sind Liebe, Freundschaft, Entzücken und Begeisterung nur Masken für den Egoismus. Mit ihnen will jeder so viel für sich herauspressen, als er kann. So lange es ihm gelingt ein Ver¬ gnügen sich zu verschaffen, so lange dauert die Freund¬ schaft, die Liebe, der Fanatismus, die er auch grade so lange für echt und wahr hält, als der Reiz dauert. Ist der hin, das Thema erschöpft, wird uns die liebste Freundin, der beste Freund gleichgültig, Anstands halber führen wir noch eine Weile die Täuschung fort, bis wir die Puppen fallen lassen, herzlich froh, wenn ein Zufall uns trennt."
Damit war das Gespräch zu Ende. Statt eines eitlen geistvollen Weibes stand neben ihm eine Salz¬ säule. Es war eine Verwandlung, zu der sie so wenig gethan als Lots Frau zu der ihren; nur ein Naturprozeß. Es wehte ihn kühl an; er hatte nichts mehr mit ihr zu reden, und doch forderte die Con¬ vention, daß er nicht schweigend ging: "Wenigstens, äußerte er, werde die Tochter des Kriegsraths Alltag, davon sei er überzeugt, nie vergessen, was sie der Geheimräthin Lupinus verdankt."
"Meinen Sie!" Die Salzsäule sah ihn mit einem ihrer eigenthümlichen Blicke an, und ihre Mund¬ winkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. "Grade so lange wird sie mich als die Schöpferin ihres Glückes enthusiastisch lieben, als sie sich in meinem Hause amüsirt und vergöttert wird. Viel¬ leicht auch nicht einmal so lange. Nur bis sie auf
„Und doch ſind Liebe, Freundſchaft, Entzücken und Begeiſterung nur Masken für den Egoismus. Mit ihnen will jeder ſo viel für ſich herauspreſſen, als er kann. So lange es ihm gelingt ein Ver¬ gnügen ſich zu verſchaffen, ſo lange dauert die Freund¬ ſchaft, die Liebe, der Fanatismus, die er auch grade ſo lange für echt und wahr hält, als der Reiz dauert. Iſt der hin, das Thema erſchöpft, wird uns die liebſte Freundin, der beſte Freund gleichgültig, Anſtands halber führen wir noch eine Weile die Täuſchung fort, bis wir die Puppen fallen laſſen, herzlich froh, wenn ein Zufall uns trennt.“
Damit war das Geſpräch zu Ende. Statt eines eitlen geiſtvollen Weibes ſtand neben ihm eine Salz¬ ſäule. Es war eine Verwandlung, zu der ſie ſo wenig gethan als Lots Frau zu der ihren; nur ein Naturprozeß. Es wehte ihn kühl an; er hatte nichts mehr mit ihr zu reden, und doch forderte die Con¬ vention, daß er nicht ſchweigend ging: „Wenigſtens, äußerte er, werde die Tochter des Kriegsraths Alltag, davon ſei er überzeugt, nie vergeſſen, was ſie der Geheimräthin Lupinus verdankt.“
„Meinen Sie!“ Die Salzſäule ſah ihn mit einem ihrer eigenthümlichen Blicke an, und ihre Mund¬ winkel verzogen ſich zu einem ſpöttiſchen Lächeln. „Grade ſo lange wird ſie mich als die Schöpferin ihres Glückes enthuſiaſtiſch lieben, als ſie ſich in meinem Hauſe amüſirt und vergöttert wird. Viel¬ leicht auch nicht einmal ſo lange. Nur bis ſie auf
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„Und doch ſind Liebe, Freundſchaft, Entzücken
und Begeiſterung nur Masken für den Egoismus.
Mit ihnen will jeder ſo viel für ſich herauspreſſen,
als er kann. So lange es ihm gelingt ein Ver¬
gnügen ſich zu verſchaffen, ſo lange dauert die Freund¬
ſchaft, die Liebe, der Fanatismus, die er auch grade
ſo lange für echt und wahr hält, als der Reiz dauert.
Iſt der hin, das Thema erſchöpft, wird uns die liebſte
Freundin, der beſte Freund gleichgültig, Anſtands
halber führen wir noch eine Weile die Täuſchung
fort, bis wir die Puppen fallen laſſen, herzlich froh,
wenn ein Zufall uns trennt.“
Damit war das Geſpräch zu Ende. Statt eines
eitlen geiſtvollen Weibes ſtand neben ihm eine Salz¬
ſäule. Es war eine Verwandlung, zu der ſie ſo
wenig gethan als Lots Frau zu der ihren; nur ein
Naturprozeß. Es wehte ihn kühl an; er hatte nichts
mehr mit ihr zu reden, und doch forderte die Con¬
vention, daß er nicht ſchweigend ging: „Wenigſtens,
äußerte er, werde die Tochter des Kriegsraths Alltag,
davon ſei er überzeugt, nie vergeſſen, was ſie der
Geheimräthin Lupinus verdankt.“
„Meinen Sie!“ Die Salzſäule ſah ihn mit
einem ihrer eigenthümlichen Blicke an, und ihre Mund¬
winkel verzogen ſich zu einem ſpöttiſchen Lächeln.
„Grade ſo lange wird ſie mich als die Schöpferin
ihres Glückes enthuſiaſtiſch lieben, als ſie ſich in
meinem Hauſe amüſirt und vergöttert wird. Viel¬
leicht auch nicht einmal ſo lange. Nur bis ſie auf
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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