Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie die Menschen und ihre Gedanken, was sich an¬
zieht und was sich abstößt, wissen Sie, was noch
feststeht und was schwankt, dann ist ja noch immer
Zeit."

"Wozu?"

"Was Sie wollen. Meinethalben, Sie werden
schon was Gutes gewollt haben. Sind Sie der
Mann am Steuer, und an Capacitäten, fehlt es Ihnen
nicht, und ästimire auch Ihren Charakter, aufrichtig,
dann -- einen Schub, einen Fußstoß! Wie Sie's
anfangen, daß der alte Plunder zusammen bricht,
darum ist mir nicht bange. Nicht wie Coriolan und
Catilina muß man anfangen. Cicero wußte, wo er
sich bücken mußte, und wo er grad aufrecht stehen
durfte. --"

Walter hatte seinen Hut ergriffen: "Daß Cicero's
Name auf der Proscriptionsliste stand und sein Kopf
aus der Portechaise fiel, würde mich vielleicht nicht
abhalten, wie Cicero zu handeln, aber -- mein Herr

Geheimerath, ich habe ein anderes Vorbild aus dem

Alterthume, von dem Ihr großer Horaz gesungen
hat: Integer vitae --"

"Scelerisque purus, fiel der Gelehrte ein, und
nahm wieder eine lange Prise. Auch ein schönes
Vorbild. Gar nichts dagegen zu sagen. Au con¬
traire
, aber dieser Integer vitae war nicht verliebt."

Da war abermals ein zweites Geheimniß, und
von den poesielosesten Lippen trocken in die Luft ge¬
setzt, ein so still in der Brust gehütetes, kaum sich

2*

Sie die Menſchen und ihre Gedanken, was ſich an¬
zieht und was ſich abſtößt, wiſſen Sie, was noch
feſtſteht und was ſchwankt, dann iſt ja noch immer
Zeit.“

„Wozu?“

„Was Sie wollen. Meinethalben, Sie werden
ſchon was Gutes gewollt haben. Sind Sie der
Mann am Steuer, und an Capacitäten, fehlt es Ihnen
nicht, und äſtimire auch Ihren Charakter, aufrichtig,
dann — einen Schub, einen Fußſtoß! Wie Sie's
anfangen, daß der alte Plunder zuſammen bricht,
darum iſt mir nicht bange. Nicht wie Coriolan und
Catilina muß man anfangen. Cicero wußte, wo er
ſich bücken mußte, und wo er grad aufrecht ſtehen
durfte. —“

Walter hatte ſeinen Hut ergriffen: „Daß Cicero's
Name auf der Proſcriptionsliſte ſtand und ſein Kopf
aus der Portechaiſe fiel, würde mich vielleicht nicht
abhalten, wie Cicero zu handeln, aber — mein Herr

Geheimerath, ich habe ein anderes Vorbild aus dem

Alterthume, von dem Ihr großer Horaz geſungen
hat: Integer vitae —“

„Scelerisque purus, fiel der Gelehrte ein, und
nahm wieder eine lange Priſe. Auch ein ſchönes
Vorbild. Gar nichts dagegen zu ſagen. Au con¬
traire
, aber dieſer Integer vitae war nicht verliebt.“

Da war abermals ein zweites Geheimniß, und
von den poeſieloſeſten Lippen trocken in die Luft ge¬
ſetzt, ein ſo ſtill in der Bruſt gehütetes, kaum ſich

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
Sie die Men&#x017F;chen und ihre Gedanken, was &#x017F;ich an¬<lb/>
zieht und was &#x017F;ich ab&#x017F;tößt, wi&#x017F;&#x017F;en Sie, was noch<lb/>
fe&#x017F;t&#x017F;teht und was &#x017F;chwankt, dann i&#x017F;t ja noch immer<lb/>
Zeit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wozu?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was Sie wollen. Meinethalben, Sie werden<lb/>
&#x017F;chon was Gutes gewollt haben. Sind Sie der<lb/>
Mann am Steuer, und an Capacitäten, fehlt es Ihnen<lb/>
nicht, und ä&#x017F;timire auch Ihren Charakter, aufrichtig,<lb/>
dann &#x2014; einen Schub, einen Fuß&#x017F;toß! Wie Sie's<lb/>
anfangen, daß der alte Plunder zu&#x017F;ammen bricht,<lb/>
darum i&#x017F;t mir nicht bange. Nicht wie Coriolan und<lb/>
Catilina muß man anfangen. Cicero wußte, wo er<lb/>
&#x017F;ich bücken mußte, und wo er grad aufrecht &#x017F;tehen<lb/>
durfte. &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Walter hatte &#x017F;einen Hut ergriffen: &#x201E;Daß Cicero's<lb/>
Name auf der Pro&#x017F;criptionsli&#x017F;te &#x017F;tand und &#x017F;ein Kopf<lb/>
aus der Portechai&#x017F;e fiel, würde mich vielleicht nicht<lb/>
abhalten, wie Cicero zu handeln, aber &#x2014; mein Herr</p><lb/>
        <p>Geheimerath, ich habe ein anderes Vorbild aus dem</p><lb/>
        <p>Alterthume, von dem Ihr großer Horaz ge&#x017F;ungen<lb/>
hat: <hi rendition="#aq">Integer vitae &#x2014;&#x201C;</hi></p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;Scelerisque purus</hi>, fiel der Gelehrte ein, und<lb/>
nahm wieder eine lange Pri&#x017F;e. Auch ein &#x017F;chönes<lb/>
Vorbild. Gar nichts dagegen zu &#x017F;agen. <hi rendition="#aq">Au con¬<lb/>
traire</hi>, aber die&#x017F;er <hi rendition="#aq">Integer vitae</hi> war nicht verliebt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Da war abermals ein zweites Geheimniß, und<lb/>
von den poe&#x017F;ielo&#x017F;e&#x017F;ten Lippen trocken in die Luft ge¬<lb/>
&#x017F;etzt, ein &#x017F;o &#x017F;till in der Bru&#x017F;t gehütetes, kaum &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] Sie die Menſchen und ihre Gedanken, was ſich an¬ zieht und was ſich abſtößt, wiſſen Sie, was noch feſtſteht und was ſchwankt, dann iſt ja noch immer Zeit.“ „Wozu?“ „Was Sie wollen. Meinethalben, Sie werden ſchon was Gutes gewollt haben. Sind Sie der Mann am Steuer, und an Capacitäten, fehlt es Ihnen nicht, und äſtimire auch Ihren Charakter, aufrichtig, dann — einen Schub, einen Fußſtoß! Wie Sie's anfangen, daß der alte Plunder zuſammen bricht, darum iſt mir nicht bange. Nicht wie Coriolan und Catilina muß man anfangen. Cicero wußte, wo er ſich bücken mußte, und wo er grad aufrecht ſtehen durfte. —“ Walter hatte ſeinen Hut ergriffen: „Daß Cicero's Name auf der Proſcriptionsliſte ſtand und ſein Kopf aus der Portechaiſe fiel, würde mich vielleicht nicht abhalten, wie Cicero zu handeln, aber — mein Herr Geheimerath, ich habe ein anderes Vorbild aus dem Alterthume, von dem Ihr großer Horaz geſungen hat: Integer vitae —“ „Scelerisque purus, fiel der Gelehrte ein, und nahm wieder eine lange Priſe. Auch ein ſchönes Vorbild. Gar nichts dagegen zu ſagen. Au con¬ traire, aber dieſer Integer vitae war nicht verliebt.“ Da war abermals ein zweites Geheimniß, und von den poeſieloſeſten Lippen trocken in die Luft ge¬ ſetzt, ein ſo ſtill in der Bruſt gehütetes, kaum ſich 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/29
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/29>, abgerufen am 18.12.2024.