Freundin keinen Anstand nehmen, wenn ich das mir Anvertraute ihr wieder vertraue. Sie kannten mich, Sie wissen, was damit zu wirken, und wenn die Spanne Zeit zu kurz war, um unsre Geister ganz in einander aufgehn zu lassen -- in dem Papiere -- wozu Schrift, wo der Geist lebendig bleibt! Ihrer wird klären, wo es dunkel scheint; wo es dunkel ist, werden Sie Licht bringen. Die Verwaltung meiner Güter braucht Sie nicht zu erschrecken, es ist dafür gesorgt. Verwandte werden Sie nicht stören, die Welt der Blutsbande ist hinter mir in aschgraue Nebel versunken, -- ich stand allein in dieser -- die Zukunft war mein Reich -- ich hoffte vielleicht neue -- doch wozu das! Pfui über diese angeborne Na¬ tur, die uns immer wieder in die Sackgasse der Sentimentalität treibt."
"Wie komme ich dazu?"
"Wie! -- Er lächelte. Nein, Sie sind im Recht, Sie mußten sich darüber täuschen; es mußte Sie frappiren, daß ich in erster Zeit mich in scheuer Ferne hielt. -- Ach die Entschlafene schwebte ja noch immer an meiner Bettwand -- und wer ist stark genug, wenn er Doppelgängerinnen sieht. -- Aber seit auch der Geist der Seligen nicht todt ist, seit -- Ge¬ nug. Wir werden uns ganz verstehen lernen, und wenn nicht, wenn unter einem schrillen Accord Sie plötzlich die Saite springen hörten, dann -- würden sich unsre Geister erst recht gefunden haben."
Freundin keinen Anſtand nehmen, wenn ich das mir Anvertraute ihr wieder vertraue. Sie kannten mich, Sie wiſſen, was damit zu wirken, und wenn die Spanne Zeit zu kurz war, um unſre Geiſter ganz in einander aufgehn zu laſſen — in dem Papiere — wozu Schrift, wo der Geiſt lebendig bleibt! Ihrer wird klären, wo es dunkel ſcheint; wo es dunkel iſt, werden Sie Licht bringen. Die Verwaltung meiner Güter braucht Sie nicht zu erſchrecken, es iſt dafür geſorgt. Verwandte werden Sie nicht ſtören, die Welt der Blutsbande iſt hinter mir in aſchgraue Nebel verſunken, — ich ſtand allein in dieſer — die Zukunft war mein Reich — ich hoffte vielleicht neue — doch wozu das! Pfui über dieſe angeborne Na¬ tur, die uns immer wieder in die Sackgaſſe der Sentimentalität treibt.“
„Wie komme ich dazu?“
„Wie! — Er lächelte. Nein, Sie ſind im Recht, Sie mußten ſich darüber täuſchen; es mußte Sie frappiren, daß ich in erſter Zeit mich in ſcheuer Ferne hielt. — Ach die Entſchlafene ſchwebte ja noch immer an meiner Bettwand — und wer iſt ſtark genug, wenn er Doppelgängerinnen ſieht. — Aber ſeit auch der Geiſt der Seligen nicht todt iſt, ſeit — Ge¬ nug. Wir werden uns ganz verſtehen lernen, und wenn nicht, wenn unter einem ſchrillen Accord Sie plötzlich die Saite ſpringen hörten, dann — würden ſich unſre Geiſter erſt recht gefunden haben.“
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Freundin keinen Anſtand nehmen, wenn ich das mir
Anvertraute ihr wieder vertraue. Sie kannten mich,
Sie wiſſen, was damit zu wirken, und wenn die
Spanne Zeit zu kurz war, um unſre Geiſter ganz
in einander aufgehn zu laſſen — in dem Papiere —
wozu Schrift, wo der Geiſt lebendig bleibt! Ihrer
wird klären, wo es dunkel ſcheint; wo es dunkel iſt,
werden Sie Licht bringen. Die Verwaltung meiner
Güter braucht Sie nicht zu erſchrecken, es iſt dafür
geſorgt. Verwandte werden Sie nicht ſtören, die
Welt der Blutsbande iſt hinter mir in aſchgraue
Nebel verſunken, — ich ſtand allein in dieſer — die
Zukunft war mein Reich — ich hoffte vielleicht neue
— doch wozu das! Pfui über dieſe angeborne Na¬
tur, die uns immer wieder in die Sackgaſſe der
Sentimentalität treibt.“
„Wie komme ich dazu?“
„Wie! — Er lächelte. Nein, Sie ſind im Recht,
Sie mußten ſich darüber täuſchen; es mußte Sie
frappiren, daß ich in erſter Zeit mich in ſcheuer Ferne
hielt. — Ach die Entſchlafene ſchwebte ja noch immer
an meiner Bettwand — und wer iſt ſtark genug,
wenn er Doppelgängerinnen ſieht. — Aber ſeit auch
der Geiſt der Seligen nicht todt iſt, ſeit — Ge¬
nug. Wir werden uns ganz verſtehen lernen, und
wenn nicht, wenn unter einem ſchrillen Accord
Sie plötzlich die Saite ſpringen hörten, dann
— würden ſich unſre Geiſter erſt recht gefunden
haben.“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/260>, abgerufen am 27.11.2024.
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