"Mit welchem haben Sie zu kämpfen?" fragte die Lupinus.
"Sie sind in aigrirter Laune, theuerste Frau. Das ist eigentlich die beste. Mit diesem moralischen Scheidewasser spülen wir am schnellsten die sensualen Auswüchse ab, die uns an unserm Glück hindern."
"Was verstehen Sie unter diesen Auswüchsen?"
"Die sogenannten wohlwollenden Gefühle, die die ärgste Lüge sind, der Selbstbetrug, der uns am klaren Denken, am folgerechten Handeln hindert."
"Sie lenken von meiner Frage ab. Für was lebt der Mensch?"
"Nur für sich selbst."
"Aber in dies Selbst schließen Sie die Ideen, Bestrebungen, Illusionen, wie Sie es nennen wollen, ein, die unser Dasein über das Vegetiren der Pflanze, über den Instinct der Thiere erheben?"
"Vielleicht."
"Warum nur bedingt? Sie wollen ihn noch nicht bewundern, aber Sie anerkennen Napoleon."
Er hatte mit unterschlagenen Armen, im Sopha zurückgelehnt, gesessen. Er sah sie scharf an:
"Wollen Sie ein Napoleon werden?"
"Thorheit!"
"Fühlen Sie Beruf, eine Semiramis, Zenobia zu sein, oder eine Maria Theresia, Katharina?"
"Das liegt ganz außer meiner Sphäre."
"Das ist das Lösewort. Wer die Gränzen seiner Sphäre erkennt, weiß wofür er lebt. Er weiß auch,
„Mit welchem haben Sie zu kämpfen?“ fragte die Lupinus.
„Sie ſind in aigrirter Laune, theuerſte Frau. Das iſt eigentlich die beſte. Mit dieſem moraliſchen Scheidewaſſer ſpülen wir am ſchnellſten die ſenſualen Auswüchſe ab, die uns an unſerm Glück hindern.“
„Was verſtehen Sie unter dieſen Auswüchſen?“
„Die ſogenannten wohlwollenden Gefühle, die die ärgſte Lüge ſind, der Selbſtbetrug, der uns am klaren Denken, am folgerechten Handeln hindert.“
„Sie lenken von meiner Frage ab. Für was lebt der Menſch?“
„Nur für ſich ſelbſt.“
„Aber in dies Selbſt ſchließen Sie die Ideen, Beſtrebungen, Illuſionen, wie Sie es nennen wollen, ein, die unſer Daſein über das Vegetiren der Pflanze, über den Inſtinct der Thiere erheben?“
„Vielleicht.“
„Warum nur bedingt? Sie wollen ihn noch nicht bewundern, aber Sie anerkennen Napoleon.“
Er hatte mit unterſchlagenen Armen, im Sopha zurückgelehnt, geſeſſen. Er ſah ſie ſcharf an:
„Wollen Sie ein Napoleon werden?“
„Thorheit!“
„Fühlen Sie Beruf, eine Semiramis, Zenobia zu ſein, oder eine Maria Thereſia, Katharina?“
„Das liegt ganz außer meiner Sphäre.“
„Das iſt das Löſewort. Wer die Gränzen ſeiner Sphäre erkennt, weiß wofür er lebt. Er weiß auch,
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„Mit welchem haben Sie zu kämpfen?“ fragte
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„Sie ſind in aigrirter Laune, theuerſte Frau.
Das iſt eigentlich die beſte. Mit dieſem moraliſchen
Scheidewaſſer ſpülen wir am ſchnellſten die ſenſualen
Auswüchſe ab, die uns an unſerm Glück hindern.“
„Was verſtehen Sie unter dieſen Auswüchſen?“
„Die ſogenannten wohlwollenden Gefühle, die
die ärgſte Lüge ſind, der Selbſtbetrug, der uns am
klaren Denken, am folgerechten Handeln hindert.“
„Sie lenken von meiner Frage ab. Für was
lebt der Menſch?“
„Nur für ſich ſelbſt.“
„Aber in dies Selbſt ſchließen Sie die Ideen,
Beſtrebungen, Illuſionen, wie Sie es nennen wollen,
ein, die unſer Daſein über das Vegetiren der Pflanze,
über den Inſtinct der Thiere erheben?“
„Vielleicht.“
„Warum nur bedingt? Sie wollen ihn noch nicht
bewundern, aber Sie anerkennen Napoleon.“
Er hatte mit unterſchlagenen Armen, im Sopha
zurückgelehnt, geſeſſen. Er ſah ſie ſcharf an:
„Wollen Sie ein Napoleon werden?“
„Thorheit!“
„Fühlen Sie Beruf, eine Semiramis, Zenobia
zu ſein, oder eine Maria Thereſia, Katharina?“
„Das liegt ganz außer meiner Sphäre.“
„Das iſt das Löſewort. Wer die Gränzen ſeiner
Sphäre erkennt, weiß wofür er lebt. Er weiß auch,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/246>, abgerufen am 08.07.2024.
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