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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts
Zu dringen strebten; leider faßte da
Ein fremder Fluch mich an und trennte mich
Von den Geliebten. -- Selbst gerettet, war
Ich nur ein Schatten mir, und frische Luft
Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf."

Er nahm das Buch und schlug eine andre Stelle
auf. Er suchte nicht viel, die Situation war ihm
peinlich, er nahm die erste beste dithyrambische und
sie las den Anfang des vierten Actes:

"Denken die Himmlischen,
Einem der Erdgebornen
Viele Verwirrungen zu,
Und bereiten sie ihm
Von der Freude zu Schmerzen
Und von Schmerzen zur Freude
Tief erschütternden Uebergang:
Dann erziehen sie ihm
In der Nähe der Stadt,
Oder am fernen Gestade,
Daß in Stunden der Noth
Auch die Hülfe bereit sey,
Einen ruhigen Freund."

Sie hatte das Buch fallen lassen, sie war aufge¬
standen. An der Tischecke schwankte sie, sie wandte sich ab,
dann rasch auf Walter zueilend, ergriff sie seine Hand:

"Ich habe den Freund gefunden. Walter, Sie
haben mich lieb?"

Er umfaßte, aufspringend, ihre Hand, er bog
den Kopf zurück, er starrte sie wie eine Erscheinung
an: "Ists Traum oder Wahrheit?"

Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts
Zu dringen ſtrebten; leider faßte da
Ein fremder Fluch mich an und trennte mich
Von den Geliebten. — Selbſt gerettet, war
Ich nur ein Schatten mir, und friſche Luft
Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.“

Er nahm das Buch und ſchlug eine andre Stelle
auf. Er ſuchte nicht viel, die Situation war ihm
peinlich, er nahm die erſte beſte dithyrambiſche und
ſie las den Anfang des vierten Actes:

„Denken die Himmliſchen,
Einem der Erdgebornen
Viele Verwirrungen zu,
Und bereiten ſie ihm
Von der Freude zu Schmerzen
Und von Schmerzen zur Freude
Tief erſchütternden Uebergang:
Dann erziehen ſie ihm
In der Nähe der Stadt,
Oder am fernen Geſtade,
Daß in Stunden der Noth
Auch die Hülfe bereit ſey,
Einen ruhigen Freund.“

Sie hatte das Buch fallen laſſen, ſie war aufge¬
ſtanden. An der Tiſchecke ſchwankte ſie, ſie wandte ſich ab,
dann raſch auf Walter zueilend, ergriff ſie ſeine Hand:

„Ich habe den Freund gefunden. Walter, Sie
haben mich lieb?“

Er umfaßte, aufſpringend, ihre Hand, er bog
den Kopf zurück, er ſtarrte ſie wie eine Erſcheinung
an: „Iſts Traum oder Wahrheit?“

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[223/0233] Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts Zu dringen ſtrebten; leider faßte da Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten. — Selbſt gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und friſche Luft Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.“ Er nahm das Buch und ſchlug eine andre Stelle auf. Er ſuchte nicht viel, die Situation war ihm peinlich, er nahm die erſte beſte dithyrambiſche und ſie las den Anfang des vierten Actes: „Denken die Himmliſchen, Einem der Erdgebornen Viele Verwirrungen zu, Und bereiten ſie ihm Von der Freude zu Schmerzen Und von Schmerzen zur Freude Tief erſchütternden Uebergang: Dann erziehen ſie ihm In der Nähe der Stadt, Oder am fernen Geſtade, Daß in Stunden der Noth Auch die Hülfe bereit ſey, Einen ruhigen Freund.“ Sie hatte das Buch fallen laſſen, ſie war aufge¬ ſtanden. An der Tiſchecke ſchwankte ſie, ſie wandte ſich ab, dann raſch auf Walter zueilend, ergriff ſie ſeine Hand: „Ich habe den Freund gefunden. Walter, Sie haben mich lieb?“ Er umfaßte, aufſpringend, ihre Hand, er bog den Kopf zurück, er ſtarrte ſie wie eine Erſcheinung an: „Iſts Traum oder Wahrheit?“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/233>, abgerufen am 29.11.2024.