Der Unterricht, den Walter im Lupinus'schen Hause ertheilte, war einige Tage ausgefallen, weil Mamsell Alltag sich unpäßlich befand. Doch hatte der Bediente hinzugefügt, es habe nichts zu bedeuten. Walter war zufrieden, obgleich er nie zufriedener war, als wenn an den Gensd'armenthürmen die Glocke schlug, die ihn zur Stunde rief; er hatte in diesen Tagen seine Arbeit fertig machen können.
Adelheid sah heute wirklich noch etwas blaß aus, aber nie hatte Walter sie reizender gesehen. Ein Häubchen umschloß ihre Locken, ein leichtes, bis unter dem Halse schließendes Morgenkleid ihre elastischen Glieder. Den griechischen Schnitt, in den die Ge¬ heimräthin sie nöthigte, hatte er nie geliebt. Der schöne Arm erschien ihm heut schöner unter dem fal¬ tigen Ueberrock, als wenn er in leuchtender Fülle aus den kurz geschnittenen Aermeln schoß. Sie war ihm rasch entgegen geeilt, sie hatte seine Hand so herzhaft gedrückt, und doch zitterte sie. Sie hatte ihr Guten
Zwölftes Kapitel. Iphigenia.
Der Unterricht, den Walter im Lupinus'ſchen Hauſe ertheilte, war einige Tage ausgefallen, weil Mamſell Alltag ſich unpäßlich befand. Doch hatte der Bediente hinzugefügt, es habe nichts zu bedeuten. Walter war zufrieden, obgleich er nie zufriedener war, als wenn an den Gensd'armenthürmen die Glocke ſchlug, die ihn zur Stunde rief; er hatte in dieſen Tagen ſeine Arbeit fertig machen können.
Adelheid ſah heute wirklich noch etwas blaß aus, aber nie hatte Walter ſie reizender geſehen. Ein Häubchen umſchloß ihre Locken, ein leichtes, bis unter dem Halſe ſchließendes Morgenkleid ihre elaſtiſchen Glieder. Den griechiſchen Schnitt, in den die Ge¬ heimräthin ſie nöthigte, hatte er nie geliebt. Der ſchöne Arm erſchien ihm heut ſchöner unter dem fal¬ tigen Ueberrock, als wenn er in leuchtender Fülle aus den kurz geſchnittenen Aermeln ſchoß. Sie war ihm raſch entgegen geeilt, ſie hatte ſeine Hand ſo herzhaft gedrückt, und doch zitterte ſie. Sie hatte ihr Guten
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Zwölftes Kapitel.
Iphigenia.
Der Unterricht, den Walter im Lupinus'ſchen
Hauſe ertheilte, war einige Tage ausgefallen, weil
Mamſell Alltag ſich unpäßlich befand. Doch hatte
der Bediente hinzugefügt, es habe nichts zu bedeuten.
Walter war zufrieden, obgleich er nie zufriedener war,
als wenn an den Gensd'armenthürmen die Glocke
ſchlug, die ihn zur Stunde rief; er hatte in dieſen
Tagen ſeine Arbeit fertig machen können.
Adelheid ſah heute wirklich noch etwas blaß aus,
aber nie hatte Walter ſie reizender geſehen. Ein
Häubchen umſchloß ihre Locken, ein leichtes, bis unter
dem Halſe ſchließendes Morgenkleid ihre elaſtiſchen
Glieder. Den griechiſchen Schnitt, in den die Ge¬
heimräthin ſie nöthigte, hatte er nie geliebt. Der
ſchöne Arm erſchien ihm heut ſchöner unter dem fal¬
tigen Ueberrock, als wenn er in leuchtender Fülle aus
den kurz geſchnittenen Aermeln ſchoß. Sie war ihm
raſch entgegen geeilt, ſie hatte ſeine Hand ſo herzhaft
gedrückt, und doch zitterte ſie. Sie hatte ihr Guten
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. [217]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/227>, abgerufen am 23.11.2024.
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