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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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Pharaonis Schaaren das rothe Meer -- wenn sie
fühlt, mit diesem Rachekitzel der Menschheit selbst
einen Dienst zu leisten! -- Sie kann nur morden im
Traume!

Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als
sie wieder ein Geräusch hörte. -- Das war Adelheids
Stimme, hell -- wie ein Aufschrei. Es kam von
weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem
Zimmer sein konnte. Da kam ihr das Mädchen
wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an sie
gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie sann
nach. Eine dunkle Vorstellung, daß man Hülfe! Sie
brennt! gerufen. Sie durfte sich versengt haben.
Von ihren Feinden war ja alles geschehen, der Sache
einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder;
nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall,
den die Menschenstimme annimmt, wenn etwas Unge¬
wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine
andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man
Geister erblickt. Das war keiner von der Diener¬
schaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen!
Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte.
An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie
ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze
warf nur ein schwaches Licht in den verwüsteten Saal.
Ihr: "Wer ist da?" hallte ohne Antwort durch die
Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine
Gestalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie schlüpfte
durch die Thür nach dem Entree. Sehen konnte sie nur

Pharaonis Schaaren das rothe Meer — wenn ſie
fühlt, mit dieſem Rachekitzel der Menſchheit ſelbſt
einen Dienſt zu leiſten! — Sie kann nur morden im
Traume!

Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als
ſie wieder ein Geräuſch hörte. — Das war Adelheids
Stimme, hell — wie ein Aufſchrei. Es kam von
weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem
Zimmer ſein konnte. Da kam ihr das Mädchen
wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an ſie
gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie ſann
nach. Eine dunkle Vorſtellung, daß man Hülfe! Sie
brennt! gerufen. Sie durfte ſich verſengt haben.
Von ihren Feinden war ja alles geſchehen, der Sache
einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder;
nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall,
den die Menſchenſtimme annimmt, wenn etwas Unge¬
wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine
andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man
Geiſter erblickt. Das war keiner von der Diener¬
ſchaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen!
Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte.
An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie
ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze
warf nur ein ſchwaches Licht in den verwüſteten Saal.
Ihr: „Wer iſt da?“ hallte ohne Antwort durch die
Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine
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[159/0169] Pharaonis Schaaren das rothe Meer — wenn ſie fühlt, mit dieſem Rachekitzel der Menſchheit ſelbſt einen Dienſt zu leiſten! — Sie kann nur morden im Traume! Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als ſie wieder ein Geräuſch hörte. — Das war Adelheids Stimme, hell — wie ein Aufſchrei. Es kam von weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem Zimmer ſein konnte. Da kam ihr das Mädchen wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an ſie gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie ſann nach. Eine dunkle Vorſtellung, daß man Hülfe! Sie brennt! gerufen. Sie durfte ſich verſengt haben. Von ihren Feinden war ja alles geſchehen, der Sache einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder; nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall, den die Menſchenſtimme annimmt, wenn etwas Unge¬ wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man Geiſter erblickt. Das war keiner von der Diener¬ ſchaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen! Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte. An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze warf nur ein ſchwaches Licht in den verwüſteten Saal. Ihr: „Wer iſt da?“ hallte ohne Antwort durch die Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine Geſtalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie ſchlüpfte durch die Thür nach dem Entree. Sehen konnte ſie nur

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/169>, abgerufen am 25.11.2024.