"Was wollte denn die Schubitz? fragte er, zwischen den Papieren kramend. Eine Eingabe von ihr ist nicht da."
"Man will sie in der Behrenstraße nicht länger dulden. Sie soll ihr Haus verlegen -- in eine minder anständige Straße," setzte der Geheimrath mit sarkastischer Miene hinzu.
"Wer will denn das, wenn ich fragen darf?"
"Erinnern Sie sich, was le grand Frederic dem alten Spalding antwortete? Der beklagte sich auch über eine Nachbarschaft, die ihn in seinen Meditationen störte, und Friedrich schrieb nur auf den Rand des Memorials: Mon cher Spalding, ni vous ni moi . . . . pourquoi donc gener d'autres . . . . Unter Friedrich hätte die Behrenstraße petitioniren können, bis sie aschgrau ward."
"Auch unter --" der Rath verschluckte es, denn der Geheimrath unterbrach ihn.
"Das muß man Wöllnern lassen. Er wußte christlich ein Auge zuzudrücken, wenn -- es die Schwäche seines Nächsten galt." Er betonte die letzten Worte.
Der junge Rath hatte vorhin die Aufforderung zum Lächeln übersehen. Er lächelte jetzt. "Aber wer kann es sein?"
"Wer! Wer? Mon cher! Haugwitz vielleicht, oder Lucchesini, Schulenburg oder Beyme der Cato Cen¬ sorinus. Vielleicht ist auch Prinz Louis Ferdinands sittliches Gefühl beleidigt."
Der Geheimrath gefiel sich so, daß er aufstand
I. 6
„Was wollte denn die Schubitz? fragte er, zwiſchen den Papieren kramend. Eine Eingabe von ihr iſt nicht da.“
„Man will ſie in der Behrenſtraße nicht länger dulden. Sie ſoll ihr Haus verlegen — in eine minder anſtändige Straße,“ ſetzte der Geheimrath mit ſarkaſtiſcher Miene hinzu.
„Wer will denn das, wenn ich fragen darf?“
„Erinnern Sie ſich, was le grand Frédéric dem alten Spalding antwortete? Der beklagte ſich auch über eine Nachbarſchaft, die ihn in ſeinen Meditationen ſtörte, und Friedrich ſchrieb nur auf den Rand des Memorials: Mon cher Spalding, ni vous ni moi . . . . pourquoi donc gêner d'autres . . . . Unter Friedrich hätte die Behrenſtraße petitioniren können, bis ſie aſchgrau ward.“
„Auch unter —“ der Rath verſchluckte es, denn der Geheimrath unterbrach ihn.
„Das muß man Wöllnern laſſen. Er wußte chriſtlich ein Auge zuzudrücken, wenn — es die Schwäche ſeines Nächſten galt.“ Er betonte die letzten Worte.
Der junge Rath hatte vorhin die Aufforderung zum Lächeln überſehen. Er lächelte jetzt. „Aber wer kann es ſein?“
„Wer! Wer? Mon cher! Haugwitz vielleicht, oder Luccheſini, Schulenburg oder Beyme der Cato Cen¬ ſorinus. Vielleicht iſt auch Prinz Louis Ferdinands ſittliches Gefühl beleidigt.“
Der Geheimrath gefiel ſich ſo, daß er aufſtand
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„Was wollte denn die Schubitz? fragte er,
zwiſchen den Papieren kramend. Eine Eingabe von
ihr iſt nicht da.“
„Man will ſie in der Behrenſtraße nicht länger
dulden. Sie ſoll ihr Haus verlegen — in eine
minder anſtändige Straße,“ ſetzte der Geheimrath mit
ſarkaſtiſcher Miene hinzu.
„Wer will denn das, wenn ich fragen darf?“
„Erinnern Sie ſich, was le grand Frédéric dem
alten Spalding antwortete? Der beklagte ſich auch über
eine Nachbarſchaft, die ihn in ſeinen Meditationen
ſtörte, und Friedrich ſchrieb nur auf den Rand des
Memorials: Mon cher Spalding, ni vous ni moi . . . .
pourquoi donc gêner d'autres . . . . Unter Friedrich
hätte die Behrenſtraße petitioniren können, bis ſie
aſchgrau ward.“
„Auch unter —“ der Rath verſchluckte es, denn
der Geheimrath unterbrach ihn.
„Das muß man Wöllnern laſſen. Er wußte
chriſtlich ein Auge zuzudrücken, wenn — es die Schwäche
ſeines Nächſten galt.“ Er betonte die letzten Worte.
Der junge Rath hatte vorhin die Aufforderung
zum Lächeln überſehen. Er lächelte jetzt. „Aber wer
kann es ſein?“
„Wer! Wer? Mon cher! Haugwitz vielleicht, oder
Luccheſini, Schulenburg oder Beyme der Cato Cen¬
ſorinus. Vielleicht iſt auch Prinz Louis Ferdinands
ſittliches Gefühl beleidigt.“
Der Geheimrath gefiel ſich ſo, daß er aufſtand
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/95>, abgerufen am 16.02.2025.
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