nen? Wer so in transcendentalen Regionen der neuen Poesie schwebt, gäbe auf die alten Dichter, dachte ich, nichts mehr. Aber nehmen Sie sich in Acht, daß mein Mann nichts davon erfährt, Herr van Asten! Für ihn, wie Sie wissen, sind ja schon Goethe und Schiller Neuerer."
Ohne eine Antwort abzuwarten, war sie vorüber¬ geschwebt. In einem Kreise, wo man über Politik sprach, stritten sie sich wer ein größerer Feldherr ge¬ wesen: Moreau oder Napoleon Bonaparte? Die Parteien standen scharf gesondert. Der Geheimräthin kam das sonderbar vor; den Grund wußte sie sich nicht recht anzugeben. Das Gespräch ward ihr langweilig. Sie hatte sich auch einmal für Bona¬ parte interessirt, und auch für Moreau. In diesem Augenblick waren die Feldherren ihr gleichgültig. So gleichgültig als die Gespräche über die Tagesgeschich¬ ten und Stadtklätschereien, die in jeder Gesellschaft ihr unverwüstliches Recht beanspruchen, auch wenn man sie vorher grundsätzlich ausschloß, wie es heut Abend mit der Geschichte der Kindesmörderin ge¬ schehen war. Aber wer wußte nicht einen pikanten Zug zu erzählen, wer fühlte nicht den Zug in sich, aus eigner Wissenschaft das Erzählte zu berichtigen, und ehe man es sich versah war der verbotene Ge¬ genstand überall der des lebhaften Gesprächs.
Es gab aber noch einen andern Gegenstand. Man berührte ihn nicht in ihrer Gegenwart. Die Geheimräthin sah nicht allein in die Ferne, sie konnte
nen? Wer ſo in transcendentalen Regionen der neuen Poeſie ſchwebt, gäbe auf die alten Dichter, dachte ich, nichts mehr. Aber nehmen Sie ſich in Acht, daß mein Mann nichts davon erfährt, Herr van Aſten! Für ihn, wie Sie wiſſen, ſind ja ſchon Goethe und Schiller Neuerer.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, war ſie vorüber¬ geſchwebt. In einem Kreiſe, wo man über Politik ſprach, ſtritten ſie ſich wer ein größerer Feldherr ge¬ weſen: Moreau oder Napoleon Bonaparte? Die Parteien ſtanden ſcharf geſondert. Der Geheimräthin kam das ſonderbar vor; den Grund wußte ſie ſich nicht recht anzugeben. Das Geſpräch ward ihr langweilig. Sie hatte ſich auch einmal für Bona¬ parte intereſſirt, und auch für Moreau. In dieſem Augenblick waren die Feldherren ihr gleichgültig. So gleichgültig als die Geſpräche über die Tagesgeſchich¬ ten und Stadtklätſchereien, die in jeder Geſellſchaft ihr unverwüſtliches Recht beanſpruchen, auch wenn man ſie vorher grundſätzlich ausſchloß, wie es heut Abend mit der Geſchichte der Kindesmörderin ge¬ ſchehen war. Aber wer wußte nicht einen pikanten Zug zu erzählen, wer fühlte nicht den Zug in ſich, aus eigner Wiſſenſchaft das Erzählte zu berichtigen, und ehe man es ſich verſah war der verbotene Ge¬ genſtand überall der des lebhaften Geſprächs.
Es gab aber noch einen andern Gegenſtand. Man berührte ihn nicht in ihrer Gegenwart. Die Geheimräthin ſah nicht allein in die Ferne, ſie konnte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0061"n="47"/>
nen? Wer ſo in transcendentalen Regionen der<lb/>
neuen Poeſie ſchwebt, gäbe auf die alten Dichter,<lb/>
dachte ich, nichts mehr. Aber nehmen Sie ſich in<lb/>
Acht, daß mein Mann nichts davon erfährt, Herr<lb/>
van Aſten! Für ihn, wie Sie wiſſen, ſind ja ſchon<lb/>
Goethe und Schiller Neuerer.“</p><lb/><p>Ohne eine Antwort abzuwarten, war ſie vorüber¬<lb/>
geſchwebt. In einem Kreiſe, wo man über Politik<lb/>ſprach, ſtritten ſie ſich wer ein größerer Feldherr ge¬<lb/>
weſen: Moreau oder Napoleon Bonaparte? Die<lb/>
Parteien ſtanden ſcharf geſondert. Der Geheimräthin<lb/>
kam das ſonderbar vor; den Grund wußte ſie ſich<lb/>
nicht recht anzugeben. Das Geſpräch ward ihr<lb/>
langweilig. Sie hatte ſich auch einmal für Bona¬<lb/>
parte intereſſirt, und auch für Moreau. In dieſem<lb/>
Augenblick waren die Feldherren ihr gleichgültig. So<lb/>
gleichgültig als die Geſpräche über die Tagesgeſchich¬<lb/>
ten und Stadtklätſchereien, die in jeder Geſellſchaft<lb/>
ihr unverwüſtliches Recht beanſpruchen, auch wenn<lb/>
man ſie vorher grundſätzlich ausſchloß, wie es heut<lb/>
Abend mit der Geſchichte der Kindesmörderin ge¬<lb/>ſchehen war. Aber wer wußte nicht einen pikanten<lb/>
Zug zu erzählen, wer fühlte nicht den Zug in ſich,<lb/>
aus eigner Wiſſenſchaft das Erzählte zu berichtigen,<lb/>
und ehe man es ſich verſah war der verbotene Ge¬<lb/>
genſtand überall der des lebhaften Geſprächs.</p><lb/><p>Es gab aber noch einen andern Gegenſtand.<lb/>
Man berührte ihn nicht in ihrer Gegenwart. Die<lb/>
Geheimräthin ſah nicht allein in die Ferne, ſie konnte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[47/0061]
nen? Wer ſo in transcendentalen Regionen der
neuen Poeſie ſchwebt, gäbe auf die alten Dichter,
dachte ich, nichts mehr. Aber nehmen Sie ſich in
Acht, daß mein Mann nichts davon erfährt, Herr
van Aſten! Für ihn, wie Sie wiſſen, ſind ja ſchon
Goethe und Schiller Neuerer.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, war ſie vorüber¬
geſchwebt. In einem Kreiſe, wo man über Politik
ſprach, ſtritten ſie ſich wer ein größerer Feldherr ge¬
weſen: Moreau oder Napoleon Bonaparte? Die
Parteien ſtanden ſcharf geſondert. Der Geheimräthin
kam das ſonderbar vor; den Grund wußte ſie ſich
nicht recht anzugeben. Das Geſpräch ward ihr
langweilig. Sie hatte ſich auch einmal für Bona¬
parte intereſſirt, und auch für Moreau. In dieſem
Augenblick waren die Feldherren ihr gleichgültig. So
gleichgültig als die Geſpräche über die Tagesgeſchich¬
ten und Stadtklätſchereien, die in jeder Geſellſchaft
ihr unverwüſtliches Recht beanſpruchen, auch wenn
man ſie vorher grundſätzlich ausſchloß, wie es heut
Abend mit der Geſchichte der Kindesmörderin ge¬
ſchehen war. Aber wer wußte nicht einen pikanten
Zug zu erzählen, wer fühlte nicht den Zug in ſich,
aus eigner Wiſſenſchaft das Erzählte zu berichtigen,
und ehe man es ſich verſah war der verbotene Ge¬
genſtand überall der des lebhaften Geſprächs.
Es gab aber noch einen andern Gegenſtand.
Man berührte ihn nicht in ihrer Gegenwart. Die
Geheimräthin ſah nicht allein in die Ferne, ſie konnte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/61>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.