Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

oder angeblichen Stande der Bewohnerin, und den
unverdächtigen Attesten, welche dieselbe von aus¬
wärtigen Obrigkeiten mitgebracht, Staaten, mit
denen unsere Regierung in Frieden lebt, war es
indeß unzulässig, auf bloßen Verdacht hin ein¬
zuschreiten. Wer dies doch für gerechtfertigt hielte,
theilt nicht unsre Ansicht von dem, was einer wohl¬
geordneten Staatsbehörde obliegt. Diesem Umstande
ist's zuzuschreiben, daß es der gedachten Frau gelang,
unbefangene Gemüther zu täuschen, wir wissen
kaum, was wir mehr bedauern sollen, daß es ihr
gelang, einen durch seinen strengen religiösen Sinn
und seine Kanzelberedsamkeit gleich ausgezeichneten
Geistlichen mit seiner Familie in ihrem Hause, unter
dem Schilde der Gastfreundschaft aufzunehmen, oder
daß sie die sittsame Tochter höchst verehrter Eltern,
und eines unserer treusten und bewährtesten Staats¬
beamten in ihr Haus zu verlocken wußte. Der trau¬
rige, oder wenn wir wollen, glückliche Vorfall, der
sich hierauf ereignete, ist bekannt. Uebrigens hätte
es dieses Vorfalls nicht bedurft; denn, wie die Er¬
scheinung des Commissars im selben Augenblick, jeden
überzeugen sollte, der Augen dafür hat, hatte die
Polizei schon die Beweise in der Stille gesammelt,
die jetzt ihr Einschreiten rechtfertigten. Die Anwesen¬
heit einer oder mehrerer angesehener Personen in dem
Hause giebt zwar für diejenigen, welche am Argen
Wohlgefallen haben, willkommene Nahrung. Wir
lassen ihnen dieses Vergnügen, theilen aber mit jedem

oder angeblichen Stande der Bewohnerin, und den
unverdächtigen Atteſten, welche dieſelbe von aus¬
wärtigen Obrigkeiten mitgebracht, Staaten, mit
denen unſere Regierung in Frieden lebt, war es
indeß unzuläſſig, auf bloßen Verdacht hin ein¬
zuſchreiten. Wer dies doch für gerechtfertigt hielte,
theilt nicht unſre Anſicht von dem, was einer wohl¬
geordneten Staatsbehörde obliegt. Dieſem Umſtande
iſt's zuzuſchreiben, daß es der gedachten Frau gelang,
unbefangene Gemüther zu täuſchen, wir wiſſen
kaum, was wir mehr bedauern ſollen, daß es ihr
gelang, einen durch ſeinen ſtrengen religiöſen Sinn
und ſeine Kanzelberedſamkeit gleich ausgezeichneten
Geiſtlichen mit ſeiner Familie in ihrem Hauſe, unter
dem Schilde der Gaſtfreundſchaft aufzunehmen, oder
daß ſie die ſittſame Tochter höchſt verehrter Eltern,
und eines unſerer treuſten und bewährteſten Staats¬
beamten in ihr Haus zu verlocken wußte. Der trau¬
rige, oder wenn wir wollen, glückliche Vorfall, der
ſich hierauf ereignete, iſt bekannt. Uebrigens hätte
es dieſes Vorfalls nicht bedurft; denn, wie die Er¬
ſcheinung des Commiſſars im ſelben Augenblick, jeden
überzeugen ſollte, der Augen dafür hat, hatte die
Polizei ſchon die Beweiſe in der Stille geſammelt,
die jetzt ihr Einſchreiten rechtfertigten. Die Anweſen¬
heit einer oder mehrerer angeſehener Perſonen in dem
Hauſe giebt zwar für diejenigen, welche am Argen
Wohlgefallen haben, willkommene Nahrung. Wir
laſſen ihnen dieſes Vergnügen, theilen aber mit jedem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="346"/>
oder angeblichen Stande der Bewohnerin, und den<lb/>
unverdächtigen Atte&#x017F;ten, welche die&#x017F;elbe von aus¬<lb/>
wärtigen Obrigkeiten mitgebracht, Staaten, mit<lb/>
denen un&#x017F;ere Regierung in Frieden lebt, war es<lb/>
indeß unzulä&#x017F;&#x017F;ig, auf bloßen Verdacht hin ein¬<lb/>
zu&#x017F;chreiten. Wer dies doch für gerechtfertigt hielte,<lb/>
theilt nicht un&#x017F;re An&#x017F;icht von dem, was einer wohl¬<lb/>
geordneten Staatsbehörde obliegt. Die&#x017F;em Um&#x017F;tande<lb/>
i&#x017F;t's zuzu&#x017F;chreiben, daß es der gedachten Frau gelang,<lb/>
unbefangene Gemüther zu täu&#x017F;chen, wir wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
kaum, was wir mehr bedauern &#x017F;ollen, daß es ihr<lb/>
gelang, einen durch &#x017F;einen &#x017F;trengen religiö&#x017F;en Sinn<lb/>
und &#x017F;eine Kanzelbered&#x017F;amkeit gleich ausgezeichneten<lb/>
Gei&#x017F;tlichen mit &#x017F;einer Familie in ihrem Hau&#x017F;e, unter<lb/>
dem Schilde der Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft aufzunehmen, oder<lb/>
daß &#x017F;ie die &#x017F;itt&#x017F;ame Tochter höch&#x017F;t verehrter Eltern,<lb/>
und eines un&#x017F;erer treu&#x017F;ten und bewährte&#x017F;ten Staats¬<lb/>
beamten in ihr Haus zu verlocken wußte. Der trau¬<lb/>
rige, oder wenn wir wollen, glückliche Vorfall, der<lb/>
&#x017F;ich hierauf ereignete, i&#x017F;t bekannt. Uebrigens hätte<lb/>
es die&#x017F;es Vorfalls nicht bedurft; denn, wie die Er¬<lb/>
&#x017F;cheinung des Commi&#x017F;&#x017F;ars im &#x017F;elben Augenblick, jeden<lb/>
überzeugen &#x017F;ollte, der Augen dafür hat, hatte die<lb/>
Polizei &#x017F;chon die Bewei&#x017F;e in der Stille ge&#x017F;ammelt,<lb/>
die <hi rendition="#g">jetzt</hi> ihr Ein&#x017F;chreiten rechtfertigten. Die Anwe&#x017F;en¬<lb/>
heit einer oder mehrerer ange&#x017F;ehener Per&#x017F;onen in dem<lb/>
Hau&#x017F;e giebt zwar für diejenigen, welche am Argen<lb/>
Wohlgefallen haben, willkommene Nahrung. Wir<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en ihnen die&#x017F;es Vergnügen, theilen aber mit jedem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0360] oder angeblichen Stande der Bewohnerin, und den unverdächtigen Atteſten, welche dieſelbe von aus¬ wärtigen Obrigkeiten mitgebracht, Staaten, mit denen unſere Regierung in Frieden lebt, war es indeß unzuläſſig, auf bloßen Verdacht hin ein¬ zuſchreiten. Wer dies doch für gerechtfertigt hielte, theilt nicht unſre Anſicht von dem, was einer wohl¬ geordneten Staatsbehörde obliegt. Dieſem Umſtande iſt's zuzuſchreiben, daß es der gedachten Frau gelang, unbefangene Gemüther zu täuſchen, wir wiſſen kaum, was wir mehr bedauern ſollen, daß es ihr gelang, einen durch ſeinen ſtrengen religiöſen Sinn und ſeine Kanzelberedſamkeit gleich ausgezeichneten Geiſtlichen mit ſeiner Familie in ihrem Hauſe, unter dem Schilde der Gaſtfreundſchaft aufzunehmen, oder daß ſie die ſittſame Tochter höchſt verehrter Eltern, und eines unſerer treuſten und bewährteſten Staats¬ beamten in ihr Haus zu verlocken wußte. Der trau¬ rige, oder wenn wir wollen, glückliche Vorfall, der ſich hierauf ereignete, iſt bekannt. Uebrigens hätte es dieſes Vorfalls nicht bedurft; denn, wie die Er¬ ſcheinung des Commiſſars im ſelben Augenblick, jeden überzeugen ſollte, der Augen dafür hat, hatte die Polizei ſchon die Beweiſe in der Stille geſammelt, die jetzt ihr Einſchreiten rechtfertigten. Die Anweſen¬ heit einer oder mehrerer angeſehener Perſonen in dem Hauſe giebt zwar für diejenigen, welche am Argen Wohlgefallen haben, willkommene Nahrung. Wir laſſen ihnen dieſes Vergnügen, theilen aber mit jedem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/360
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/360>, abgerufen am 25.11.2024.