Er langte den Schatz schnell herunter, von dem er, nachdem er ihn gekostet, versicherte, es sei ein ächter alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme geben werde.
Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬ niß. Er war sehr müde. Der kalte Angstschweiß stand auf seiner Stirn.
"Ausgetrunken! Ein zweites Glas!"
"In der That eine seltsame Situation!" In¬ dessen er trank.
"Warum seltsam! Ein Weltmann muß sich in alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären Sie zu Hause."
"Der Wein war doch nicht für uns bestimmt."
"Für mich nicht, aber für Sie."
"Man muß auch im Scherz ein Maaß finden."
"Was Scherz! Das Nest ist leer, aber die Er¬ innerungen sind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr? Durch diese Dämmerung schweben die Grazien. Auf den Wirth! Angestoßen!"
"Bovillard!"
"Bester St. Real, wir sind ja unter uns! Reden wir denn zum profanum vulgus! Auf den Höhen der Menschheit, wie der Dichter sie nennt, verlangt man auch Freude, den schönen Götterfunken. Wer pour les menus plaisirs sorgt, ist ein Wohlthäter der höheren Menschheit. Oder sind Sie traurig, daß die rauhe Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin Idealist; mich kümmert die Polizei nicht. Ich sehe
Er langte den Schatz ſchnell herunter, von dem er, nachdem er ihn gekoſtet, verſicherte, es ſei ein ächter alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme geben werde.
Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬ niß. Er war ſehr müde. Der kalte Angſtſchweiß ſtand auf ſeiner Stirn.
„Ausgetrunken! Ein zweites Glas!“
„In der That eine ſeltſame Situation!“ In¬ deſſen er trank.
„Warum ſeltſam! Ein Weltmann muß ſich in alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären Sie zu Hauſe.“
„Der Wein war doch nicht für uns beſtimmt.“
„Für mich nicht, aber für Sie.“
„Man muß auch im Scherz ein Maaß finden.“
„Was Scherz! Das Neſt iſt leer, aber die Er¬ innerungen ſind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr? Durch dieſe Dämmerung ſchweben die Grazien. Auf den Wirth! Angeſtoßen!“
„Bovillard!“
„Beſter St. Real, wir ſind ja unter uns! Reden wir denn zum profanum vulgus! Auf den Höhen der Menſchheit, wie der Dichter ſie nennt, verlangt man auch Freude, den ſchönen Götterfunken. Wer pour les menus plaisirs ſorgt, iſt ein Wohlthäter der höheren Menſchheit. Oder ſind Sie traurig, daß die rauhe Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin Idealiſt; mich kümmert die Polizei nicht. Ich ſehe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0343"n="329"/>
Er langte den Schatz ſchnell herunter, von dem er,<lb/>
nachdem er ihn gekoſtet, verſicherte, es ſei ein ächter<lb/>
alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme<lb/>
geben werde.</p><lb/><p>Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬<lb/>
niß. Er war ſehr müde. Der kalte Angſtſchweiß<lb/>ſtand auf ſeiner Stirn.</p><lb/><p>„Ausgetrunken! Ein zweites Glas!“</p><lb/><p>„In der That eine ſeltſame Situation!“ In¬<lb/>
deſſen er trank.</p><lb/><p>„Warum ſeltſam! Ein Weltmann muß ſich in<lb/>
alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären<lb/>
Sie zu Hauſe.“</p><lb/><p>„Der Wein war doch nicht für uns beſtimmt.“</p><lb/><p>„Für mich nicht, aber für Sie.“</p><lb/><p>„Man muß auch im Scherz ein Maaß finden.“</p><lb/><p>„Was Scherz! Das Neſt iſt leer, aber die Er¬<lb/>
innerungen ſind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr?<lb/>
Durch dieſe Dämmerung ſchweben die Grazien. Auf<lb/>
den Wirth! Angeſtoßen!“</p><lb/><p>„Bovillard!“</p><lb/><p>„Beſter St. Real, wir ſind ja unter uns! Reden<lb/>
wir denn zum <hirendition="#aq">profanum vulgus</hi>! Auf den Höhen der<lb/>
Menſchheit, wie der Dichter ſie nennt, verlangt man<lb/>
auch Freude, den ſchönen Götterfunken. Wer <hirendition="#aq">pour<lb/>
les menus plaisirs</hi>ſorgt, iſt ein Wohlthäter der höheren<lb/>
Menſchheit. Oder ſind Sie traurig, daß die rauhe<lb/>
Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin<lb/>
Idealiſt; mich kümmert die Polizei nicht. Ich ſehe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[329/0343]
Er langte den Schatz ſchnell herunter, von dem er,
nachdem er ihn gekoſtet, verſicherte, es ſei ein ächter
alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme
geben werde.
Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬
niß. Er war ſehr müde. Der kalte Angſtſchweiß
ſtand auf ſeiner Stirn.
„Ausgetrunken! Ein zweites Glas!“
„In der That eine ſeltſame Situation!“ In¬
deſſen er trank.
„Warum ſeltſam! Ein Weltmann muß ſich in
alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären
Sie zu Hauſe.“
„Der Wein war doch nicht für uns beſtimmt.“
„Für mich nicht, aber für Sie.“
„Man muß auch im Scherz ein Maaß finden.“
„Was Scherz! Das Neſt iſt leer, aber die Er¬
innerungen ſind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr?
Durch dieſe Dämmerung ſchweben die Grazien. Auf
den Wirth! Angeſtoßen!“
„Bovillard!“
„Beſter St. Real, wir ſind ja unter uns! Reden
wir denn zum profanum vulgus! Auf den Höhen der
Menſchheit, wie der Dichter ſie nennt, verlangt man
auch Freude, den ſchönen Götterfunken. Wer pour
les menus plaisirs ſorgt, iſt ein Wohlthäter der höheren
Menſchheit. Oder ſind Sie traurig, daß die rauhe
Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin
Idealiſt; mich kümmert die Polizei nicht. Ich ſehe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/343>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.