Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Er langte den Schatz schnell herunter, von dem er,
nachdem er ihn gekostet, versicherte, es sei ein ächter
alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme
geben werde.

Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬
niß. Er war sehr müde. Der kalte Angstschweiß
stand auf seiner Stirn.

"Ausgetrunken! Ein zweites Glas!"

"In der That eine seltsame Situation!" In¬
dessen er trank.

"Warum seltsam! Ein Weltmann muß sich in
alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären
Sie zu Hause."

"Der Wein war doch nicht für uns bestimmt."

"Für mich nicht, aber für Sie."

"Man muß auch im Scherz ein Maaß finden."

"Was Scherz! Das Nest ist leer, aber die Er¬
innerungen sind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr?
Durch diese Dämmerung schweben die Grazien. Auf
den Wirth! Angestoßen!"

"Bovillard!"

"Bester St. Real, wir sind ja unter uns! Reden
wir denn zum profanum vulgus! Auf den Höhen der
Menschheit, wie der Dichter sie nennt, verlangt man
auch Freude, den schönen Götterfunken. Wer pour
les menus plaisirs
sorgt, ist ein Wohlthäter der höheren
Menschheit. Oder sind Sie traurig, daß die rauhe
Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin
Idealist; mich kümmert die Polizei nicht. Ich sehe

Er langte den Schatz ſchnell herunter, von dem er,
nachdem er ihn gekoſtet, verſicherte, es ſei ein ächter
alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme
geben werde.

Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬
niß. Er war ſehr müde. Der kalte Angſtſchweiß
ſtand auf ſeiner Stirn.

„Ausgetrunken! Ein zweites Glas!“

„In der That eine ſeltſame Situation!“ In¬
deſſen er trank.

„Warum ſeltſam! Ein Weltmann muß ſich in
alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären
Sie zu Hauſe.“

„Der Wein war doch nicht für uns beſtimmt.“

„Für mich nicht, aber für Sie.“

„Man muß auch im Scherz ein Maaß finden.“

„Was Scherz! Das Neſt iſt leer, aber die Er¬
innerungen ſind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr?
Durch dieſe Dämmerung ſchweben die Grazien. Auf
den Wirth! Angeſtoßen!“

„Bovillard!“

„Beſter St. Real, wir ſind ja unter uns! Reden
wir denn zum profanum vulgus! Auf den Höhen der
Menſchheit, wie der Dichter ſie nennt, verlangt man
auch Freude, den ſchönen Götterfunken. Wer pour
les menus plaisirs
ſorgt, iſt ein Wohlthäter der höheren
Menſchheit. Oder ſind Sie traurig, daß die rauhe
Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin
Idealiſt; mich kümmert die Polizei nicht. Ich ſehe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0343" n="329"/>
Er langte den Schatz &#x017F;chnell herunter, von dem er,<lb/>
nachdem er ihn geko&#x017F;tet, ver&#x017F;icherte, es &#x017F;ei ein ächter<lb/>
alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme<lb/>
geben werde.</p><lb/>
        <p>Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬<lb/>
niß. Er war &#x017F;ehr müde. Der kalte Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß<lb/>
&#x017F;tand auf &#x017F;einer Stirn.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ausgetrunken! Ein zweites Glas!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;In der That eine &#x017F;elt&#x017F;ame Situation!&#x201C; In¬<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en er trank.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum &#x017F;elt&#x017F;am! Ein Weltmann muß &#x017F;ich in<lb/>
alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären<lb/>
Sie zu Hau&#x017F;e.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Wein war doch nicht für uns be&#x017F;timmt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Für mich nicht, aber für Sie.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Man muß auch im Scherz ein Maaß finden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was Scherz! Das Ne&#x017F;t i&#x017F;t leer, aber die Er¬<lb/>
innerungen &#x017F;ind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr?<lb/>
Durch die&#x017F;e Dämmerung &#x017F;chweben die Grazien. Auf<lb/>
den Wirth! Ange&#x017F;toßen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bovillard!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Be&#x017F;ter St. Real, wir &#x017F;ind ja unter uns! Reden<lb/>
wir denn zum <hi rendition="#aq">profanum vulgus</hi>! Auf den Höhen der<lb/>
Men&#x017F;chheit, wie der Dichter &#x017F;ie nennt, verlangt man<lb/>
auch Freude, den &#x017F;chönen Götterfunken. Wer <hi rendition="#aq">pour<lb/>
les menus plaisirs</hi> &#x017F;orgt, i&#x017F;t ein Wohlthäter der höheren<lb/>
Men&#x017F;chheit. Oder &#x017F;ind Sie traurig, daß die rauhe<lb/>
Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin<lb/>
Ideali&#x017F;t; mich kümmert die Polizei nicht. Ich &#x017F;ehe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0343] Er langte den Schatz ſchnell herunter, von dem er, nachdem er ihn gekoſtet, verſicherte, es ſei ein ächter alter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme geben werde. Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürf¬ niß. Er war ſehr müde. Der kalte Angſtſchweiß ſtand auf ſeiner Stirn. „Ausgetrunken! Ein zweites Glas!“ „In der That eine ſeltſame Situation!“ In¬ deſſen er trank. „Warum ſeltſam! Ein Weltmann muß ſich in alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären Sie zu Hauſe.“ „Der Wein war doch nicht für uns beſtimmt.“ „Für mich nicht, aber für Sie.“ „Man muß auch im Scherz ein Maaß finden.“ „Was Scherz! Das Neſt iſt leer, aber die Er¬ innerungen ſind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr? Durch dieſe Dämmerung ſchweben die Grazien. Auf den Wirth! Angeſtoßen!“ „Bovillard!“ „Beſter St. Real, wir ſind ja unter uns! Reden wir denn zum profanum vulgus! Auf den Höhen der Menſchheit, wie der Dichter ſie nennt, verlangt man auch Freude, den ſchönen Götterfunken. Wer pour les menus plaisirs ſorgt, iſt ein Wohlthäter der höheren Menſchheit. Oder ſind Sie traurig, daß die rauhe Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehn Sie, ich bin Idealiſt; mich kümmert die Polizei nicht. Ich ſehe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/343
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/343>, abgerufen am 24.11.2024.