Polizei schicken oder erlauben Sie mir, daß ich hier an's Fenster trete, wo sie mich besser hören können, und ihnen recht eindringlich in's Herz rede, wie ihr Betragen sich besser für Sodom und Gomorrha schickt als die Residenzstadt unseres Königs?"
"Sodom und Gomorrha! Da haben Sie recht, das ist das richtige Wort!" rief die Obristin, erfreut, an ein Wort sich klammern zu können, das sie für den Augenblick aus einer Verlegenheit riß, die, wie man an ihrem Zittern wahrnehmen konnte, schon peinlich ge¬ worden. Wie sie sich herausriß, war ihr gleichgültig. Sodom und Gomorrha, Herr Prediger. O Sie werden unsere Stadt noch anders kennen lernen. Aber um Gottes Willen nicht die Polizei! Nicht zehn rechtschaffene Menschen unter tausend. Aber nicht die Polizei. Wer sich die auf den Hals ladet, sehen Sie --" Sie hatte in ihrer Angst das Tuch hin- und hergewickelt, bis sie's Jülli zuwarf mit dem Be¬ fehl, es ordentlich zu legen, daß es das Fräulein umschlagen könne, und hatte damit schnell einen neuen Ausweg gefunden. -- "Sehen Sie, Herr Prediger, das ist's, ein reines pures Mißverständniß. Sehn Sie, das Tuch hier, weil's so kokliko roth ist -- hier giebt's nicht solche -- müssen die Mädchen damit 'rum schmeißen, gegen's Fenster -- das haben sie für 'nen Affront angesehen, die Herren Cavalleristen -- warum, das weiß der liebe Himmel! Was sehn die nicht für 'nen Affront an, wenn ein ehrlicher Bürgersmann was thut -- Sie wissen ja vom Lande,
Polizei ſchicken oder erlauben Sie mir, daß ich hier an's Fenſter trete, wo ſie mich beſſer hören können, und ihnen recht eindringlich in's Herz rede, wie ihr Betragen ſich beſſer für Sodom und Gomorrha ſchickt als die Reſidenzſtadt unſeres Königs?“
„Sodom und Gomorrha! Da haben Sie recht, das iſt das richtige Wort!“ rief die Obriſtin, erfreut, an ein Wort ſich klammern zu können, das ſie für den Augenblick aus einer Verlegenheit riß, die, wie man an ihrem Zittern wahrnehmen konnte, ſchon peinlich ge¬ worden. Wie ſie ſich herausriß, war ihr gleichgültig. Sodom und Gomorrha, Herr Prediger. O Sie werden unſere Stadt noch anders kennen lernen. Aber um Gottes Willen nicht die Polizei! Nicht zehn rechtſchaffene Menſchen unter tauſend. Aber nicht die Polizei. Wer ſich die auf den Hals ladet, ſehen Sie —“ Sie hatte in ihrer Angſt das Tuch hin- und hergewickelt, bis ſie's Jülli zuwarf mit dem Be¬ fehl, es ordentlich zu legen, daß es das Fräulein umſchlagen könne, und hatte damit ſchnell einen neuen Ausweg gefunden. — „Sehen Sie, Herr Prediger, das iſt's, ein reines pures Mißverſtändniß. Sehn Sie, das Tuch hier, weil's ſo kokliko roth iſt — hier giebt's nicht ſolche — müſſen die Mädchen damit 'rum ſchmeißen, gegen's Fenſter — das haben ſie für 'nen Affront angeſehen, die Herren Cavalleriſten — warum, das weiß der liebe Himmel! Was ſehn die nicht für 'nen Affront an, wenn ein ehrlicher Bürgersmann was thut — Sie wiſſen ja vom Lande,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0310"n="296"/>
Polizei ſchicken oder erlauben Sie mir, daß ich hier<lb/>
an's Fenſter trete, wo ſie mich beſſer hören können,<lb/>
und ihnen recht eindringlich in's Herz rede, wie ihr<lb/>
Betragen ſich beſſer für Sodom und Gomorrha ſchickt<lb/>
als die Reſidenzſtadt unſeres Königs?“</p><lb/><p>„Sodom und Gomorrha! Da haben Sie recht,<lb/>
das iſt das richtige Wort!“ rief die Obriſtin, erfreut,<lb/>
an ein Wort ſich klammern zu können, das ſie für den<lb/>
Augenblick aus einer Verlegenheit riß, die, wie man<lb/>
an ihrem Zittern wahrnehmen konnte, ſchon peinlich ge¬<lb/>
worden. Wie ſie ſich herausriß, war ihr gleichgültig.<lb/>
Sodom und Gomorrha, Herr Prediger. O Sie<lb/>
werden unſere Stadt noch anders kennen lernen.<lb/>
Aber um Gottes Willen nicht die Polizei! Nicht<lb/>
zehn rechtſchaffene Menſchen unter tauſend. Aber nicht<lb/>
die Polizei. Wer ſich die auf den Hals ladet, ſehen<lb/>
Sie —“ Sie hatte in ihrer Angſt das Tuch hin-<lb/>
und hergewickelt, bis ſie's Jülli zuwarf mit dem Be¬<lb/>
fehl, es ordentlich zu legen, daß es das Fräulein<lb/>
umſchlagen könne, und hatte damit ſchnell einen neuen<lb/>
Ausweg gefunden. —„Sehen Sie, Herr Prediger,<lb/>
das iſt's, ein reines pures Mißverſtändniß. Sehn<lb/>
Sie, das Tuch hier, weil's ſo kokliko roth iſt — hier<lb/>
giebt's nicht ſolche — müſſen die Mädchen damit<lb/>
'rum ſchmeißen, gegen's Fenſter — das haben ſie<lb/>
für 'nen Affront angeſehen, die Herren Cavalleriſten<lb/>— warum, das weiß der liebe Himmel! Was ſehn<lb/>
die nicht für 'nen Affront an, wenn ein ehrlicher<lb/>
Bürgersmann was thut — Sie wiſſen ja vom Lande,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[296/0310]
Polizei ſchicken oder erlauben Sie mir, daß ich hier
an's Fenſter trete, wo ſie mich beſſer hören können,
und ihnen recht eindringlich in's Herz rede, wie ihr
Betragen ſich beſſer für Sodom und Gomorrha ſchickt
als die Reſidenzſtadt unſeres Königs?“
„Sodom und Gomorrha! Da haben Sie recht,
das iſt das richtige Wort!“ rief die Obriſtin, erfreut,
an ein Wort ſich klammern zu können, das ſie für den
Augenblick aus einer Verlegenheit riß, die, wie man
an ihrem Zittern wahrnehmen konnte, ſchon peinlich ge¬
worden. Wie ſie ſich herausriß, war ihr gleichgültig.
Sodom und Gomorrha, Herr Prediger. O Sie
werden unſere Stadt noch anders kennen lernen.
Aber um Gottes Willen nicht die Polizei! Nicht
zehn rechtſchaffene Menſchen unter tauſend. Aber nicht
die Polizei. Wer ſich die auf den Hals ladet, ſehen
Sie —“ Sie hatte in ihrer Angſt das Tuch hin-
und hergewickelt, bis ſie's Jülli zuwarf mit dem Be¬
fehl, es ordentlich zu legen, daß es das Fräulein
umſchlagen könne, und hatte damit ſchnell einen neuen
Ausweg gefunden. — „Sehen Sie, Herr Prediger,
das iſt's, ein reines pures Mißverſtändniß. Sehn
Sie, das Tuch hier, weil's ſo kokliko roth iſt — hier
giebt's nicht ſolche — müſſen die Mädchen damit
'rum ſchmeißen, gegen's Fenſter — das haben ſie
für 'nen Affront angeſehen, die Herren Cavalleriſten
— warum, das weiß der liebe Himmel! Was ſehn
die nicht für 'nen Affront an, wenn ein ehrlicher
Bürgersmann was thut — Sie wiſſen ja vom Lande,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/310>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.