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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Frau; es lag in ihrem Wesen Ruhe und Unruhe.
Man konnte sie in diesem Augenblick für sehr bedeu¬
tend, im nächsten für ein gewöhnliches Weib halten.
Ihre Kleidung war einfach aber gesucht; zwischen der
zu Grabe getragenen Roccocomode und dem grie¬
chischen Ideal, das Mode geworden. Kurze eng an¬
schmiegende Aermel, ein weit ausgeschnitten Kleid
mit kurzer Taille, die eine rosaseidne Chärpe noch
mehr hervorhob, aber ein Ueberwurf um die Schultern
und die langen Handschuhe suchten die Entfaltung
der griechischen Nacktheit wieder zu verbergen.

Der Geheimrath entschuldigte sich wegen seiner
Toilette. Er hatte Ursach. Die Geheimräthin sagte
lächelnd, sie hätte für dieses Aeußerliche keinen Sinn.
Aber während er seine Füße in den Pantoffeln zu
verstecken suchte, ohne sich doch der Bemerkung ent¬
halten zu können, daß er sich von ihnen nicht trennen
könne, weil sie noch von seiner seligen Frau gestickt
wären, verbarg die Geheimräthin keineswegs ihre
sehr zierlichen Füße auf dem Schemel, als sie mit der
sanften, fast süßen Stimme, durch die nur zuweilen
ein feiner, schneidender Ton fuhr, sagte:

"Man muß gestehen, daß der Herr Schwager
die Treue gegen die selige Geheimräthin bis zum
Exceß cultiviren."

"Und wie geht es denn meinem theuern Bruder,
dem Geheimrath, seufzte er. Wir haben uns so lange
nicht gesehen. Ach Gott, wir Geschäftsmänner!"

"Er ist in seinen Büchern vergraben."

I. 2

Frau; es lag in ihrem Weſen Ruhe und Unruhe.
Man konnte ſie in dieſem Augenblick für ſehr bedeu¬
tend, im nächſten für ein gewöhnliches Weib halten.
Ihre Kleidung war einfach aber geſucht; zwiſchen der
zu Grabe getragenen Roccocomode und dem grie¬
chiſchen Ideal, das Mode geworden. Kurze eng an¬
ſchmiegende Aermel, ein weit ausgeſchnitten Kleid
mit kurzer Taille, die eine roſaſeidne Chärpe noch
mehr hervorhob, aber ein Ueberwurf um die Schultern
und die langen Handſchuhe ſuchten die Entfaltung
der griechiſchen Nacktheit wieder zu verbergen.

Der Geheimrath entſchuldigte ſich wegen ſeiner
Toilette. Er hatte Urſach. Die Geheimräthin ſagte
lächelnd, ſie hätte für dieſes Aeußerliche keinen Sinn.
Aber während er ſeine Füße in den Pantoffeln zu
verſtecken ſuchte, ohne ſich doch der Bemerkung ent¬
halten zu können, daß er ſich von ihnen nicht trennen
könne, weil ſie noch von ſeiner ſeligen Frau geſtickt
wären, verbarg die Geheimräthin keineswegs ihre
ſehr zierlichen Füße auf dem Schemel, als ſie mit der
ſanften, faſt ſüßen Stimme, durch die nur zuweilen
ein feiner, ſchneidender Ton fuhr, ſagte:

„Man muß geſtehen, daß der Herr Schwager
die Treue gegen die ſelige Geheimräthin bis zum
Exceß cultiviren.“

„Und wie geht es denn meinem theuern Bruder,
dem Geheimrath, ſeufzte er. Wir haben uns ſo lange
nicht geſehen. Ach Gott, wir Geſchäftsmänner!“

„Er iſt in ſeinen Büchern vergraben.“

I. 2
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[17/0031] Frau; es lag in ihrem Weſen Ruhe und Unruhe. Man konnte ſie in dieſem Augenblick für ſehr bedeu¬ tend, im nächſten für ein gewöhnliches Weib halten. Ihre Kleidung war einfach aber geſucht; zwiſchen der zu Grabe getragenen Roccocomode und dem grie¬ chiſchen Ideal, das Mode geworden. Kurze eng an¬ ſchmiegende Aermel, ein weit ausgeſchnitten Kleid mit kurzer Taille, die eine roſaſeidne Chärpe noch mehr hervorhob, aber ein Ueberwurf um die Schultern und die langen Handſchuhe ſuchten die Entfaltung der griechiſchen Nacktheit wieder zu verbergen. Der Geheimrath entſchuldigte ſich wegen ſeiner Toilette. Er hatte Urſach. Die Geheimräthin ſagte lächelnd, ſie hätte für dieſes Aeußerliche keinen Sinn. Aber während er ſeine Füße in den Pantoffeln zu verſtecken ſuchte, ohne ſich doch der Bemerkung ent¬ halten zu können, daß er ſich von ihnen nicht trennen könne, weil ſie noch von ſeiner ſeligen Frau geſtickt wären, verbarg die Geheimräthin keineswegs ihre ſehr zierlichen Füße auf dem Schemel, als ſie mit der ſanften, faſt ſüßen Stimme, durch die nur zuweilen ein feiner, ſchneidender Ton fuhr, ſagte: „Man muß geſtehen, daß der Herr Schwager die Treue gegen die ſelige Geheimräthin bis zum Exceß cultiviren.“ „Und wie geht es denn meinem theuern Bruder, dem Geheimrath, ſeufzte er. Wir haben uns ſo lange nicht geſehen. Ach Gott, wir Geſchäftsmänner!“ „Er iſt in ſeinen Büchern vergraben.“ I. 2

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/31>, abgerufen am 23.11.2024.