hoch, in einem finstern Hause, Treppen so grade rauf, wie 'ne Leiter, und stockduster, daß man sich Hals und Bein bricht, da kommt der Herr eines Abends rauf. Gott bewahre, er wird nicht allein ausgehen, Einer in Livree vorauf, und zwei Herren begleiten ihn, Alle in großen Mänteln. Nämlich er hatte in Dresden ein Bild gesehn, von einem ge¬ wissen Titus oder Tilian, darauf kommts nicht an. Es stellte eine Venus vor, die auf einem Kanapee ruht. Und es hatte ihm so gefallen, daß er gar nicht die Augen wegkriegen konnte. Da hatte Jemand zu ihm gesagt: "Gnädiger Herr, ich weiß in Berlin ein Original dazu; das hier ist ihm wie aus den Augen geschnitten." Wie der vornehme Herr dazu den Kopf schüttelte und meinte, das halte er für ganz unmög¬ lich, denn so was gebe es gar nicht lebendig, sagt der andre: "Wenn gnädigster Herr sich dafür inte¬ ressiren, so käme es ja nur auf die Probe an. Ich weiß, der Mann, dem es gehört, würde es sich's zur größten Ehre schätzen." Sehn Sie, so war der Hergang."
Adelheid wollte nach Hut und Handschuhen greifen. Warum, wußte sie nicht, aber sie war unruhig ge¬ worden. Die Obristin faßte sie am Arm: "Engelchen liebes, Sie ängstigen sich doch nicht? Das war nur, was Sie lebende Bilder nennen, lassen Sie sichs nur von Herrn van Asten erklären, und der hat sie auch gar nicht gesehn, Gott bewahre, der Vorhang ist gar nicht aufgegangen von wegen der silbernen
hoch, in einem finſtern Hauſe, Treppen ſo grade rauf, wie 'ne Leiter, und ſtockduſter, daß man ſich Hals und Bein bricht, da kommt der Herr eines Abends rauf. Gott bewahre, er wird nicht allein ausgehen, Einer in Livree vorauf, und zwei Herren begleiten ihn, Alle in großen Mänteln. Nämlich er hatte in Dresden ein Bild geſehn, von einem ge¬ wiſſen Titus oder Tilian, darauf kommts nicht an. Es ſtellte eine Venus vor, die auf einem Kanapee ruht. Und es hatte ihm ſo gefallen, daß er gar nicht die Augen wegkriegen konnte. Da hatte Jemand zu ihm geſagt: „Gnädiger Herr, ich weiß in Berlin ein Original dazu; das hier iſt ihm wie aus den Augen geſchnitten.“ Wie der vornehme Herr dazu den Kopf ſchüttelte und meinte, das halte er für ganz unmög¬ lich, denn ſo was gebe es gar nicht lebendig, ſagt der andre: „Wenn gnädigſter Herr ſich dafür inte¬ reſſiren, ſo käme es ja nur auf die Probe an. Ich weiß, der Mann, dem es gehört, würde es ſich's zur größten Ehre ſchätzen.“ Sehn Sie, ſo war der Hergang.“
Adelheid wollte nach Hut und Handſchuhen greifen. Warum, wußte ſie nicht, aber ſie war unruhig ge¬ worden. Die Obriſtin faßte ſie am Arm: „Engelchen liebes, Sie ängſtigen ſich doch nicht? Das war nur, was Sie lebende Bilder nennen, laſſen Sie ſichs nur von Herrn van Aſten erklären, und der hat ſie auch gar nicht geſehn, Gott bewahre, der Vorhang iſt gar nicht aufgegangen von wegen der ſilbernen
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[287/0301]
hoch, in einem finſtern Hauſe, Treppen ſo grade
rauf, wie 'ne Leiter, und ſtockduſter, daß man ſich
Hals und Bein bricht, da kommt der Herr eines
Abends rauf. Gott bewahre, er wird nicht allein
ausgehen, Einer in Livree vorauf, und zwei Herren
begleiten ihn, Alle in großen Mänteln. Nämlich er
hatte in Dresden ein Bild geſehn, von einem ge¬
wiſſen Titus oder Tilian, darauf kommts nicht an.
Es ſtellte eine Venus vor, die auf einem Kanapee
ruht. Und es hatte ihm ſo gefallen, daß er gar nicht
die Augen wegkriegen konnte. Da hatte Jemand zu
ihm geſagt: „Gnädiger Herr, ich weiß in Berlin ein
Original dazu; das hier iſt ihm wie aus den Augen
geſchnitten.“ Wie der vornehme Herr dazu den Kopf
ſchüttelte und meinte, das halte er für ganz unmög¬
lich, denn ſo was gebe es gar nicht lebendig, ſagt
der andre: „Wenn gnädigſter Herr ſich dafür inte¬
reſſiren, ſo käme es ja nur auf die Probe an. Ich
weiß, der Mann, dem es gehört, würde es ſich's
zur größten Ehre ſchätzen.“ Sehn Sie, ſo war der
Hergang.“
Adelheid wollte nach Hut und Handſchuhen greifen.
Warum, wußte ſie nicht, aber ſie war unruhig ge¬
worden. Die Obriſtin faßte ſie am Arm: „Engelchen
liebes, Sie ängſtigen ſich doch nicht? Das war nur,
was Sie lebende Bilder nennen, laſſen Sie ſichs
nur von Herrn van Aſten erklären, und der hat ſie
auch gar nicht geſehn, Gott bewahre, der Vorhang
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/301>, abgerufen am 24.11.2024.
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