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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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dauerte, daß sie gar nicht zu ihr kämen; die Nichten
waren verlegen. War's der scharfe Blick der Tante,
war's die überwiegende Erscheinung des in der Fülle
ihrer Schönheit strahlenden Mädchens. Aber der
Strahl aus dem klaren Auge goß in die getrübten
der unglücklichen Geschöpfe von seinem Licht. Sie
fühlten sich in einer andern Atmosphäre, die etwas
von ihrem heilenden Balsam auch auf sie träufte.

Die Obristin hielt es für gut, allein das Wort
zu führen. Ihre Lippen flossen über vom Lobe der
braven Eltern, die wohl mehr zu thun hätten, als
solchen Besuch zu empfangen. Sie wisse wohl, was
der Herr Kriegsrath und die Frau Kriegsräthin für
die Erziehung ihrer Tochter thäten, und da wäre es
ja ausverschämt, sich aufdrängen wollen. Aber um
so mehr schätze sie es und rechne die Ehre sich an,
daß sie ihrem Lieblingskinde erlaubt, ein Stündchen
sich in ihrem schlichten Hause zu gefallen. Sie wäre
nun eigentlich in rechter Verlegenheit, worüber mit
einer solchen feinen Dame sprechen, die so viel schon
wisse, und noch viel mehr von solchen Lehrern lernen
würde.

Adelheid war ihrerseits aber gar nicht mehr in
Verlegenheit. Sie, was man nennt "kappte" die
Obristin durch kurze natürliche Antworten, und schon
vor der Chacolade war das Gespräch im lebendigsten
Gange, denn es betraf das neue, feine Kleid, was
der Vater ihr geschenkt und die größte Aufmerksam¬
keit der Nichten erregte. Das Zeug, der Laden, wo

dauerte, daß ſie gar nicht zu ihr kämen; die Nichten
waren verlegen. War's der ſcharfe Blick der Tante,
war's die überwiegende Erſcheinung des in der Fülle
ihrer Schönheit ſtrahlenden Mädchens. Aber der
Strahl aus dem klaren Auge goß in die getrübten
der unglücklichen Geſchöpfe von ſeinem Licht. Sie
fühlten ſich in einer andern Atmoſphäre, die etwas
von ihrem heilenden Balſam auch auf ſie träufte.

Die Obriſtin hielt es für gut, allein das Wort
zu führen. Ihre Lippen floſſen über vom Lobe der
braven Eltern, die wohl mehr zu thun hätten, als
ſolchen Beſuch zu empfangen. Sie wiſſe wohl, was
der Herr Kriegsrath und die Frau Kriegsräthin für
die Erziehung ihrer Tochter thäten, und da wäre es
ja ausverſchämt, ſich aufdrängen wollen. Aber um
ſo mehr ſchätze ſie es und rechne die Ehre ſich an,
daß ſie ihrem Lieblingskinde erlaubt, ein Stündchen
ſich in ihrem ſchlichten Hauſe zu gefallen. Sie wäre
nun eigentlich in rechter Verlegenheit, worüber mit
einer ſolchen feinen Dame ſprechen, die ſo viel ſchon
wiſſe, und noch viel mehr von ſolchen Lehrern lernen
würde.

Adelheid war ihrerſeits aber gar nicht mehr in
Verlegenheit. Sie, was man nennt „kappte“ die
Obriſtin durch kurze natürliche Antworten, und ſchon
vor der Chacolade war das Geſpräch im lebendigſten
Gange, denn es betraf das neue, feine Kleid, was
der Vater ihr geſchenkt und die größte Aufmerkſam¬
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[281/0295] dauerte, daß ſie gar nicht zu ihr kämen; die Nichten waren verlegen. War's der ſcharfe Blick der Tante, war's die überwiegende Erſcheinung des in der Fülle ihrer Schönheit ſtrahlenden Mädchens. Aber der Strahl aus dem klaren Auge goß in die getrübten der unglücklichen Geſchöpfe von ſeinem Licht. Sie fühlten ſich in einer andern Atmoſphäre, die etwas von ihrem heilenden Balſam auch auf ſie träufte. Die Obriſtin hielt es für gut, allein das Wort zu führen. Ihre Lippen floſſen über vom Lobe der braven Eltern, die wohl mehr zu thun hätten, als ſolchen Beſuch zu empfangen. Sie wiſſe wohl, was der Herr Kriegsrath und die Frau Kriegsräthin für die Erziehung ihrer Tochter thäten, und da wäre es ja ausverſchämt, ſich aufdrängen wollen. Aber um ſo mehr ſchätze ſie es und rechne die Ehre ſich an, daß ſie ihrem Lieblingskinde erlaubt, ein Stündchen ſich in ihrem ſchlichten Hauſe zu gefallen. Sie wäre nun eigentlich in rechter Verlegenheit, worüber mit einer ſolchen feinen Dame ſprechen, die ſo viel ſchon wiſſe, und noch viel mehr von ſolchen Lehrern lernen würde. Adelheid war ihrerſeits aber gar nicht mehr in Verlegenheit. Sie, was man nennt „kappte“ die Obriſtin durch kurze natürliche Antworten, und ſchon vor der Chacolade war das Geſpräch im lebendigſten Gange, denn es betraf das neue, feine Kleid, was der Vater ihr geſchenkt und die größte Aufmerkſam¬ keit der Nichten erregte. Das Zeug, der Laden, wo

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/295>, abgerufen am 24.11.2024.