Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel nehmen; so wird mancher rechtschaffene Mensch auf Erden verleumdet von bösen Feinden, aber 's giebt einen Gott im Himmel und einen König auf Erden, und wer ehrlich sein Brod erwirbt, und ein gefühl¬ volles Herz hat für seine Nebenmenschen, der geht nicht zu Schanden."
Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenster sich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬ rufen wollte: "warum tragen Sie nicht die Fische selbst!" drückte die Hand der Tante eine sehr vernehm¬ liche Erinnerung auf ihre Backe: "Untersteh' Dich!" Das Fenster flog zu. Die Scene hatte sich verändert. Karoline weinte. Nur war sie keine so unterwürfige Zuhörerin.
"Und 's ist wahr, er hat immer die Fische vom Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab' ich ihn selbst gesehen, und darum bin kein schlechtes Mädchen nicht. Und das ist Wahrheit."
Die Obristin mäßigte sich. "Der Herr Geheime¬ rath sei eine obrigkeitliche Person, und mit genialischen Herren müsse man's anders nehmen. Und wenn er keine Respectsperson wäre, und nicht so viele vor¬ nehme Freunde und Verwandte hätte, dann säße er jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm nachsagen könnte, wäre seine Köchin. Gegen die Charlotte wäre schon sonst nichts zu sagen, denn sie wäre ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn schicke sich das nicht, so was im Hause zu haben.
Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel nehmen; ſo wird mancher rechtſchaffene Menſch auf Erden verleumdet von böſen Feinden, aber 's giebt einen Gott im Himmel und einen König auf Erden, und wer ehrlich ſein Brod erwirbt, und ein gefühl¬ volles Herz hat für ſeine Nebenmenſchen, der geht nicht zu Schanden.“
Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenſter ſich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬ rufen wollte: „warum tragen Sie nicht die Fiſche ſelbſt!“ drückte die Hand der Tante eine ſehr vernehm¬ liche Erinnerung auf ihre Backe: „Unterſteh' Dich!“ Das Fenſter flog zu. Die Scene hatte ſich verändert. Karoline weinte. Nur war ſie keine ſo unterwürfige Zuhörerin.
„Und 's iſt wahr, er hat immer die Fiſche vom Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab' ich ihn ſelbſt geſehen, und darum bin kein ſchlechtes Mädchen nicht. Und das iſt Wahrheit.“
Die Obriſtin mäßigte ſich. „Der Herr Geheime¬ rath ſei eine obrigkeitliche Perſon, und mit genialiſchen Herren müſſe man's anders nehmen. Und wenn er keine Reſpectsperſon wäre, und nicht ſo viele vor¬ nehme Freunde und Verwandte hätte, dann ſäße er jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm nachſagen könnte, wäre ſeine Köchin. Gegen die Charlotte wäre ſchon ſonſt nichts zu ſagen, denn ſie wäre ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn ſchicke ſich das nicht, ſo was im Hauſe zu haben.
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Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel
nehmen; ſo wird mancher rechtſchaffene Menſch auf
Erden verleumdet von böſen Feinden, aber 's giebt
einen Gott im Himmel und einen König auf Erden,
und wer ehrlich ſein Brod erwirbt, und ein gefühl¬
volles Herz hat für ſeine Nebenmenſchen, der geht
nicht zu Schanden.“
Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenſter
ſich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬
rufen wollte: „warum tragen Sie nicht die Fiſche
ſelbſt!“ drückte die Hand der Tante eine ſehr vernehm¬
liche Erinnerung auf ihre Backe: „Unterſteh' Dich!“
Das Fenſter flog zu. Die Scene hatte ſich verändert.
Karoline weinte. Nur war ſie keine ſo unterwürfige
Zuhörerin.
„Und 's iſt wahr, er hat immer die Fiſche vom
Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab'
ich ihn ſelbſt geſehen, und darum bin kein ſchlechtes
Mädchen nicht. Und das iſt Wahrheit.“
Die Obriſtin mäßigte ſich. „Der Herr Geheime¬
rath ſei eine obrigkeitliche Perſon, und mit genialiſchen
Herren müſſe man's anders nehmen. Und wenn er
keine Reſpectsperſon wäre, und nicht ſo viele vor¬
nehme Freunde und Verwandte hätte, dann ſäße er
jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm
nachſagen könnte, wäre ſeine Köchin. Gegen die
Charlotte wäre ſchon ſonſt nichts zu ſagen, denn ſie wäre
ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn
ſchicke ſich das nicht, ſo was im Hauſe zu haben.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/291>, abgerufen am 24.11.2024.
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