solcher Huld und Grazie etwas Geheimes auf der Brust zu behalten, wäre Sünde. Wie die Sonne die Knospe entfalte, müsse das Herz sich erschließen vor der Schönheit. -- Excellenz, solche Geschöpfe sind launenhaft, unberechenbar. Sie hatte sich viel¬ leicht bei den politischen Herzensergießungen etwas ennuyirt. Nun mußte sie gegen den Ersten Besten, den sie sah, auch ihr Herz und ihr Lachen ausschütten. Wie gesagt, was die Jenny betrifft, sie hat alles ausgeschüttet, aber -- ich weiß nur aus manchen ge¬ legentlichen Redensarten, daß der Geheimrath manche dieser Reminiscenzen eingeschachtelt hat."
Es folgte eine lange Pause, in welcher im Mi¬ nister Vielerlei vorging: "Sie sind ein Quälgeist, Bovillard, sagte er endlich. Haben Sie denn keine bessern Gegenstände zu protegiren."
Mit einiger Emphase sagte der Geheimrath: "Die Tugend und das Verdienst helfen sich selbst fort, das liest man in jeder Erziehungsschrift; den Lumpen aber muß man unter den Arm greifen. Ex¬ cellenz, welch ein süßes Gefühl, so manche Vogel¬ scheuche in Amt und Würden zu sehen! Der ehrbare Bürger bleibt respectvoll stehen und zieht tief den Hut, und wir -- wir lachen in uns, wir wissen, welcher Hauch, welche Laune, welcher Zufall sie auf¬ schwellte. Nur den Athem brauchen wir anzuziehen, und sie fallen auf den Müllhaufen zurück, und schrecken keinen Sperling mehr. Es ist eine kleine Erholung dies Protegiren, eine Entschädigung für die saure
ſolcher Huld und Grazie etwas Geheimes auf der Bruſt zu behalten, wäre Sünde. Wie die Sonne die Knospe entfalte, müſſe das Herz ſich erſchließen vor der Schönheit. — Excellenz, ſolche Geſchöpfe ſind launenhaft, unberechenbar. Sie hatte ſich viel¬ leicht bei den politiſchen Herzensergießungen etwas ennuyirt. Nun mußte ſie gegen den Erſten Beſten, den ſie ſah, auch ihr Herz und ihr Lachen ausſchütten. Wie geſagt, was die Jenny betrifft, ſie hat alles ausgeſchüttet, aber — ich weiß nur aus manchen ge¬ legentlichen Redensarten, daß der Geheimrath manche dieſer Reminiscenzen eingeſchachtelt hat.“
Es folgte eine lange Pauſe, in welcher im Mi¬ niſter Vielerlei vorging: „Sie ſind ein Quälgeiſt, Bovillard, ſagte er endlich. Haben Sie denn keine beſſern Gegenſtände zu protegiren.“
Mit einiger Emphaſe ſagte der Geheimrath: „Die Tugend und das Verdienſt helfen ſich ſelbſt fort, das lieſt man in jeder Erziehungsſchrift; den Lumpen aber muß man unter den Arm greifen. Ex¬ cellenz, welch ein ſüßes Gefühl, ſo manche Vogel¬ ſcheuche in Amt und Würden zu ſehen! Der ehrbare Bürger bleibt reſpectvoll ſtehen und zieht tief den Hut, und wir — wir lachen in uns, wir wiſſen, welcher Hauch, welche Laune, welcher Zufall ſie auf¬ ſchwellte. Nur den Athem brauchen wir anzuziehen, und ſie fallen auf den Müllhaufen zurück, und ſchrecken keinen Sperling mehr. Es iſt eine kleine Erholung dies Protegiren, eine Entſchädigung für die ſaure
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0254"n="240"/>ſolcher Huld und Grazie etwas Geheimes auf der<lb/>
Bruſt zu behalten, wäre Sünde. Wie die Sonne<lb/>
die Knospe entfalte, müſſe das Herz ſich erſchließen<lb/>
vor der Schönheit. — Excellenz, ſolche Geſchöpfe<lb/>ſind launenhaft, unberechenbar. Sie hatte ſich viel¬<lb/>
leicht bei den politiſchen Herzensergießungen etwas<lb/>
ennuyirt. Nun mußte ſie gegen den Erſten Beſten,<lb/>
den ſie ſah, auch ihr Herz und ihr Lachen ausſchütten.<lb/>
Wie geſagt, was die Jenny betrifft, ſie hat alles<lb/>
ausgeſchüttet, aber — ich weiß nur aus manchen ge¬<lb/>
legentlichen Redensarten, daß der Geheimrath manche<lb/>
dieſer Reminiscenzen eingeſchachtelt hat.“</p><lb/><p>Es folgte eine lange Pauſe, in welcher im Mi¬<lb/>
niſter Vielerlei vorging: „Sie ſind ein Quälgeiſt,<lb/>
Bovillard, ſagte er endlich. Haben Sie denn keine<lb/>
beſſern Gegenſtände zu protegiren.“</p><lb/><p>Mit einiger Emphaſe ſagte der Geheimrath:<lb/>„Die Tugend und das Verdienſt helfen ſich ſelbſt<lb/>
fort, das lieſt man in jeder Erziehungsſchrift; den<lb/>
Lumpen aber muß man unter den Arm greifen. Ex¬<lb/>
cellenz, welch ein ſüßes Gefühl, ſo manche Vogel¬<lb/>ſcheuche in Amt und Würden zu ſehen! Der ehrbare<lb/>
Bürger bleibt reſpectvoll ſtehen und zieht tief den<lb/>
Hut, und wir — wir lachen in uns, wir wiſſen,<lb/>
welcher Hauch, welche Laune, welcher Zufall ſie auf¬<lb/>ſchwellte. Nur den Athem brauchen wir anzuziehen,<lb/>
und ſie fallen auf den Müllhaufen zurück, und ſchrecken<lb/>
keinen Sperling mehr. Es iſt eine kleine Erholung<lb/>
dies Protegiren, eine Entſchädigung für die ſaure<lb/></p></div></body></text></TEI>
[240/0254]
ſolcher Huld und Grazie etwas Geheimes auf der
Bruſt zu behalten, wäre Sünde. Wie die Sonne
die Knospe entfalte, müſſe das Herz ſich erſchließen
vor der Schönheit. — Excellenz, ſolche Geſchöpfe
ſind launenhaft, unberechenbar. Sie hatte ſich viel¬
leicht bei den politiſchen Herzensergießungen etwas
ennuyirt. Nun mußte ſie gegen den Erſten Beſten,
den ſie ſah, auch ihr Herz und ihr Lachen ausſchütten.
Wie geſagt, was die Jenny betrifft, ſie hat alles
ausgeſchüttet, aber — ich weiß nur aus manchen ge¬
legentlichen Redensarten, daß der Geheimrath manche
dieſer Reminiscenzen eingeſchachtelt hat.“
Es folgte eine lange Pauſe, in welcher im Mi¬
niſter Vielerlei vorging: „Sie ſind ein Quälgeiſt,
Bovillard, ſagte er endlich. Haben Sie denn keine
beſſern Gegenſtände zu protegiren.“
Mit einiger Emphaſe ſagte der Geheimrath:
„Die Tugend und das Verdienſt helfen ſich ſelbſt
fort, das lieſt man in jeder Erziehungsſchrift; den
Lumpen aber muß man unter den Arm greifen. Ex¬
cellenz, welch ein ſüßes Gefühl, ſo manche Vogel¬
ſcheuche in Amt und Würden zu ſehen! Der ehrbare
Bürger bleibt reſpectvoll ſtehen und zieht tief den
Hut, und wir — wir lachen in uns, wir wiſſen,
welcher Hauch, welche Laune, welcher Zufall ſie auf¬
ſchwellte. Nur den Athem brauchen wir anzuziehen,
und ſie fallen auf den Müllhaufen zurück, und ſchrecken
keinen Sperling mehr. Es iſt eine kleine Erholung
dies Protegiren, eine Entſchädigung für die ſaure
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/254>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.