müssen, daß er nur die Feder in die Hand nahm. Die junge schöne Königin hat geweint. Und da hat er sie gefragt: Aber Louise warum weinst Du denn? Denn unter sich sagen sie immer Du; und es kommt Einer zum Andern, ohne daß die Kammerherren an¬ klopfen und sie melden, und darüber ist die Hofmar¬ schallin, die alte Gräfin Voß ganz aufgebracht. Aber das thut nun nichts. Es wird Alles noch ganz anders werden, sagen sie; und gar nicht wie beim Dicken. Die Livreen werden auch anders. Und alle Men¬ schen sollen Brüder sein, und alle Frauenzimmer Schwestern . . ."
Der Geheimrath intonirte, wie durch eine Er¬ innerung geweckt, plötzlich das Lied, indem er mit den Fingern auf dem Knie den Takt schlug:
"Wir Menschen sind ja alle Brüder,
Vereinigt durch ein heilig Band,
Du Schwester mit dem Leinwandmieder,
Du Bruder mit dem Ordensband!"
Das Kindermädchen warf einen schlauen Blick: "Gestern hinterm Gitterfenster auf dem Hofe -- da sangen's Herr Geheimrath viel lauter."
Die Erwähnung schien dem Geheimrath unan¬ genehm: "Das versteht Sie nicht. Es ist allerdings gegen die Humanität einen Menschen um's Leben zu bringen. Aber, wie gesagt, das versteht Sie noch nicht, und das ist nur unter uns, und wie sollten wir denn die Spitzbuben los werden und die atrocen
müſſen, daß er nur die Feder in die Hand nahm. Die junge ſchöne Königin hat geweint. Und da hat er ſie gefragt: Aber Louiſe warum weinſt Du denn? Denn unter ſich ſagen ſie immer Du; und es kommt Einer zum Andern, ohne daß die Kammerherren an¬ klopfen und ſie melden, und darüber iſt die Hofmar¬ ſchallin, die alte Gräfin Voß ganz aufgebracht. Aber das thut nun nichts. Es wird Alles noch ganz anders werden, ſagen ſie; und gar nicht wie beim Dicken. Die Livreen werden auch anders. Und alle Men¬ ſchen ſollen Brüder ſein, und alle Frauenzimmer Schweſtern . . .“
Der Geheimrath intonirte, wie durch eine Er¬ innerung geweckt, plötzlich das Lied, indem er mit den Fingern auf dem Knie den Takt ſchlug:
„Wir Menſchen ſind ja alle Brüder,
Vereinigt durch ein heilig Band,
Du Schweſter mit dem Leinwandmieder,
Du Bruder mit dem Ordensband!“
Das Kindermädchen warf einen ſchlauen Blick: „Geſtern hinterm Gitterfenſter auf dem Hofe — da ſangen's Herr Geheimrath viel lauter.“
Die Erwähnung ſchien dem Geheimrath unan¬ genehm: „Das verſteht Sie nicht. Es iſt allerdings gegen die Humanität einen Menſchen um's Leben zu bringen. Aber, wie geſagt, das verſteht Sie noch nicht, und das iſt nur unter uns, und wie ſollten wir denn die Spitzbuben los werden und die atrocen
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müſſen, daß er nur die Feder in die Hand nahm.
Die junge ſchöne Königin hat geweint. Und da hat
er ſie gefragt: Aber Louiſe warum weinſt Du denn?
Denn unter ſich ſagen ſie immer Du; und es kommt
Einer zum Andern, ohne daß die Kammerherren an¬
klopfen und ſie melden, und darüber iſt die Hofmar¬
ſchallin, die alte Gräfin Voß ganz aufgebracht. Aber
das thut nun nichts. Es wird Alles noch ganz anders
werden, ſagen ſie; und gar nicht wie beim Dicken.
Die Livreen werden auch anders. Und alle Men¬
ſchen ſollen Brüder ſein, und alle Frauenzimmer
Schweſtern . . .“
Der Geheimrath intonirte, wie durch eine Er¬
innerung geweckt, plötzlich das Lied, indem er mit
den Fingern auf dem Knie den Takt ſchlug:
„Wir Menſchen ſind ja alle Brüder,
Vereinigt durch ein heilig Band,
Du Schweſter mit dem Leinwandmieder,
Du Bruder mit dem Ordensband!“
Das Kindermädchen warf einen ſchlauen Blick:
„Geſtern hinterm Gitterfenſter auf dem Hofe — da
ſangen's Herr Geheimrath viel lauter.“
Die Erwähnung ſchien dem Geheimrath unan¬
genehm: „Das verſteht Sie nicht. Es iſt allerdings
gegen die Humanität einen Menſchen um's Leben zu
bringen. Aber, wie geſagt, das verſteht Sie noch
nicht, und das iſt nur unter uns, und wie ſollten
wir denn die Spitzbuben los werden und die atrocen
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/23>, abgerufen am 16.07.2024.
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