Stelle für Adelheid. Mutter und Tochter wechselten jetzt die Rollen, indem die letzte fragte, ob es sich auch schicke, während die erste sagte, wenn ihre Toch¬ ter ein Vergnügen habe, sei es als ob sie selbst es genossen, und was sie denn für Bedenken haben könne?
Als Adelheid am Abend zurückkehrte, waren alle Bedenken verschwunden. In der Aufregung der Freude flossen ihre Lippen über. Liebenswürdiger konnten Nichten und Tante nicht sein. Wie an¬ muthig war die Unterhaltung geflossen während der Spazierfahrt, wie rasch der Wagen dahin gerollt durch den Thiergarten. Als sie nach Hause fuhren, hatten die Nichten sie so dringend gebeten, einen Augenblick bei ihnen hinaufzuspringen. Die Tante meinte, es sei noch nicht alles eingerichtet. Aber die Nichten sagten: "Chere tante, sie muß doch dein rothes Shawl sehen." Und oben die Zimmerchen, es war so niedlich und fein, wie sie es nie gesehen, man fühlte den Fußboden nicht, solche weiche Decken lagen, und Sophas an allen Wänden, und schwere bunte Gardienen machten die Stuben dunkel, daß sie vor der Zeit Licht anzünden mußten. Keine Talg¬ lichte, sondern eine Lampe mit gedämpftem Glase, die an der Decke hing. Da hätte das Zimmer erst wunderbar schön ausgesehen. Leider war der Schlüssel verlegt zum Kasten, wo das rothe Tuch lag, und die Tante hatte gemeint, sie müsse es zuerst ein Mal bei Tage sehen, weil die Farben bei Licht ganz andere würden. Auch war ein Besuch gerade eingetreten,
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Stelle für Adelheid. Mutter und Tochter wechſelten jetzt die Rollen, indem die letzte fragte, ob es ſich auch ſchicke, während die erſte ſagte, wenn ihre Toch¬ ter ein Vergnügen habe, ſei es als ob ſie ſelbſt es genoſſen, und was ſie denn für Bedenken haben könne?
Als Adelheid am Abend zurückkehrte, waren alle Bedenken verſchwunden. In der Aufregung der Freude floſſen ihre Lippen über. Liebenswürdiger konnten Nichten und Tante nicht ſein. Wie an¬ muthig war die Unterhaltung gefloſſen während der Spazierfahrt, wie raſch der Wagen dahin gerollt durch den Thiergarten. Als ſie nach Hauſe fuhren, hatten die Nichten ſie ſo dringend gebeten, einen Augenblick bei ihnen hinaufzuſpringen. Die Tante meinte, es ſei noch nicht alles eingerichtet. Aber die Nichten ſagten: „Chère tante, ſie muß doch dein rothes Shawl ſehen.“ Und oben die Zimmerchen, es war ſo niedlich und fein, wie ſie es nie geſehen, man fühlte den Fußboden nicht, ſolche weiche Decken lagen, und Sophas an allen Wänden, und ſchwere bunte Gardienen machten die Stuben dunkel, daß ſie vor der Zeit Licht anzünden mußten. Keine Talg¬ lichte, ſondern eine Lampe mit gedämpftem Glaſe, die an der Decke hing. Da hätte das Zimmer erſt wunderbar ſchön ausgeſehen. Leider war der Schlüſſel verlegt zum Kaſten, wo das rothe Tuch lag, und die Tante hatte gemeint, ſie müſſe es zuerſt ein Mal bei Tage ſehen, weil die Farben bei Licht ganz andere würden. Auch war ein Beſuch gerade eingetreten,
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Stelle für Adelheid. Mutter und Tochter wechſelten
jetzt die Rollen, indem die letzte fragte, ob es ſich
auch ſchicke, während die erſte ſagte, wenn ihre Toch¬
ter ein Vergnügen habe, ſei es als ob ſie ſelbſt es
genoſſen, und was ſie denn für Bedenken haben könne?
Als Adelheid am Abend zurückkehrte, waren alle
Bedenken verſchwunden. In der Aufregung der
Freude floſſen ihre Lippen über. Liebenswürdiger
konnten Nichten und Tante nicht ſein. Wie an¬
muthig war die Unterhaltung gefloſſen während der
Spazierfahrt, wie raſch der Wagen dahin gerollt
durch den Thiergarten. Als ſie nach Hauſe fuhren,
hatten die Nichten ſie ſo dringend gebeten, einen
Augenblick bei ihnen hinaufzuſpringen. Die Tante
meinte, es ſei noch nicht alles eingerichtet. Aber die
Nichten ſagten: „Chère tante, ſie muß doch dein
rothes Shawl ſehen.“ Und oben die Zimmerchen,
es war ſo niedlich und fein, wie ſie es nie geſehen,
man fühlte den Fußboden nicht, ſolche weiche Decken
lagen, und Sophas an allen Wänden, und ſchwere
bunte Gardienen machten die Stuben dunkel, daß ſie
vor der Zeit Licht anzünden mußten. Keine Talg¬
lichte, ſondern eine Lampe mit gedämpftem Glaſe,
die an der Decke hing. Da hätte das Zimmer erſt
wunderbar ſchön ausgeſehen. Leider war der Schlüſſel
verlegt zum Kaſten, wo das rothe Tuch lag, und die
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/225>, abgerufen am 24.11.2024.
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