Strahlen von großen und kleinen Pflastersteinen aus¬ gießt, eilten sie, ohne einen Blick dahin zu werfen, was der Jette unbegreiflich schien, denn es war doch die größte Merkwürdigkeit von Berlin, die jeder Hand¬ werksbursche gesehen haben mußte; sonst war er nicht in Berlin gewesen.
Der schöne Stern ist längst verschwunden. Auf seinem Kernpunkt steht die Friedensgöttin, die man aufgerichtet, als der Friede anfing aufzuhören. Auf einer spitzen Säule flattert sie in der Luft, wie der Vogel, der mit einem Fuß auf der Dachfirste Posto gefaßt, und sich umschaut, ob es drüben ge¬ heuer ist.
Die große Friedrichsstraße war ihnen nie so lang vorgekommen; und doch eilten sie, daß der Kriegs¬ räthin der Athem verging. Die Jette dachte mit dem schweren Korb: Ich bin doch auch ein Mensch! -- An den Fenstern zählten sie die Lichter. Würden sie ihre Wohnung dunkel finden? Wenn's um diese Ecke, das Haus da, hell ist, sagte sich die Mutter, dann finden wir's auch bei uns hell. Einmal war es dunkel, dann wieder hell. Man muß an ein Orakel nicht zu oft dieselbe Frage stellen. Der Vater dachte an die Schwalben, die Schüsse gehört und Brannst¬ geruch gerochen, und mit gestreckten Flügeln schießen, ob sie ihr Nest noch finden. Aber er hatte keinen Schuß gehört, und keinen Brannstgeruch empfunden. Die Frau Kriegsräthin beruhigte sich auch: wie schreck¬ lich hatte nicht die Obristin die Angst und das Un¬
Strahlen von großen und kleinen Pflaſterſteinen aus¬ gießt, eilten ſie, ohne einen Blick dahin zu werfen, was der Jette unbegreiflich ſchien, denn es war doch die größte Merkwürdigkeit von Berlin, die jeder Hand¬ werksburſche geſehen haben mußte; ſonſt war er nicht in Berlin geweſen.
Der ſchöne Stern iſt längſt verſchwunden. Auf ſeinem Kernpunkt ſteht die Friedensgöttin, die man aufgerichtet, als der Friede anfing aufzuhören. Auf einer ſpitzen Säule flattert ſie in der Luft, wie der Vogel, der mit einem Fuß auf der Dachfirſte Poſto gefaßt, und ſich umſchaut, ob es drüben ge¬ heuer iſt.
Die große Friedrichsſtraße war ihnen nie ſo lang vorgekommen; und doch eilten ſie, daß der Kriegs¬ räthin der Athem verging. Die Jette dachte mit dem ſchweren Korb: Ich bin doch auch ein Menſch! — An den Fenſtern zählten ſie die Lichter. Würden ſie ihre Wohnung dunkel finden? Wenn's um dieſe Ecke, das Haus da, hell iſt, ſagte ſich die Mutter, dann finden wir's auch bei uns hell. Einmal war es dunkel, dann wieder hell. Man muß an ein Orakel nicht zu oft dieſelbe Frage ſtellen. Der Vater dachte an die Schwalben, die Schüſſe gehört und Brannſt¬ geruch gerochen, und mit geſtreckten Flügeln ſchießen, ob ſie ihr Neſt noch finden. Aber er hatte keinen Schuß gehört, und keinen Brannſtgeruch empfunden. Die Frau Kriegsräthin beruhigte ſich auch: wie ſchreck¬ lich hatte nicht die Obriſtin die Angſt und das Un¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0213"n="199"/>
Strahlen von großen und kleinen Pflaſterſteinen aus¬<lb/>
gießt, eilten ſie, ohne einen Blick dahin zu werfen,<lb/>
was der Jette unbegreiflich ſchien, denn es war doch<lb/>
die größte Merkwürdigkeit von Berlin, die jeder Hand¬<lb/>
werksburſche geſehen haben mußte; ſonſt war er nicht<lb/>
in Berlin geweſen.</p><lb/><p>Der ſchöne Stern iſt längſt verſchwunden. Auf<lb/>ſeinem Kernpunkt ſteht die Friedensgöttin, die man<lb/>
aufgerichtet, als der Friede anfing aufzuhören.<lb/>
Auf einer ſpitzen Säule flattert ſie in der Luft, wie<lb/>
der Vogel, der mit einem Fuß auf der Dachfirſte<lb/>
Poſto gefaßt, und ſich umſchaut, ob es drüben ge¬<lb/>
heuer iſt.</p><lb/><p>Die große Friedrichsſtraße war ihnen nie ſo lang<lb/>
vorgekommen; und doch eilten ſie, daß der Kriegs¬<lb/>
räthin der Athem verging. Die Jette dachte mit dem<lb/>ſchweren Korb: Ich bin doch auch ein Menſch! —<lb/>
An den Fenſtern zählten ſie die Lichter. Würden ſie<lb/>
ihre Wohnung dunkel finden? Wenn's um dieſe Ecke,<lb/>
das Haus da, hell iſt, ſagte ſich die Mutter, dann<lb/>
finden wir's auch bei uns hell. Einmal war es<lb/>
dunkel, dann wieder hell. Man muß an ein Orakel<lb/>
nicht zu oft dieſelbe Frage ſtellen. Der Vater dachte<lb/>
an die Schwalben, die Schüſſe gehört und Brannſt¬<lb/>
geruch gerochen, und mit geſtreckten Flügeln ſchießen,<lb/>
ob ſie ihr Neſt noch finden. Aber er hatte keinen<lb/>
Schuß gehört, und keinen Brannſtgeruch empfunden.<lb/>
Die Frau Kriegsräthin beruhigte ſich auch: wie ſchreck¬<lb/>
lich hatte nicht die Obriſtin die Angſt und das Un¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0213]
Strahlen von großen und kleinen Pflaſterſteinen aus¬
gießt, eilten ſie, ohne einen Blick dahin zu werfen,
was der Jette unbegreiflich ſchien, denn es war doch
die größte Merkwürdigkeit von Berlin, die jeder Hand¬
werksburſche geſehen haben mußte; ſonſt war er nicht
in Berlin geweſen.
Der ſchöne Stern iſt längſt verſchwunden. Auf
ſeinem Kernpunkt ſteht die Friedensgöttin, die man
aufgerichtet, als der Friede anfing aufzuhören.
Auf einer ſpitzen Säule flattert ſie in der Luft, wie
der Vogel, der mit einem Fuß auf der Dachfirſte
Poſto gefaßt, und ſich umſchaut, ob es drüben ge¬
heuer iſt.
Die große Friedrichsſtraße war ihnen nie ſo lang
vorgekommen; und doch eilten ſie, daß der Kriegs¬
räthin der Athem verging. Die Jette dachte mit dem
ſchweren Korb: Ich bin doch auch ein Menſch! —
An den Fenſtern zählten ſie die Lichter. Würden ſie
ihre Wohnung dunkel finden? Wenn's um dieſe Ecke,
das Haus da, hell iſt, ſagte ſich die Mutter, dann
finden wir's auch bei uns hell. Einmal war es
dunkel, dann wieder hell. Man muß an ein Orakel
nicht zu oft dieſelbe Frage ſtellen. Der Vater dachte
an die Schwalben, die Schüſſe gehört und Brannſt¬
geruch gerochen, und mit geſtreckten Flügeln ſchießen,
ob ſie ihr Neſt noch finden. Aber er hatte keinen
Schuß gehört, und keinen Brannſtgeruch empfunden.
Die Frau Kriegsräthin beruhigte ſich auch: wie ſchreck¬
lich hatte nicht die Obriſtin die Angſt und das Un¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/213>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.