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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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"Der höchste Schmerz wäre Selbstvernichtung,
und zum Selbstmord schuf uns nicht die Natur! rief
Walter, ohne auf den Spott des Freundes zu achten."

Louis hatte sich aufgerichtet und verbarg wieder
das Gesicht in beiden Händen: "Ein Stück von der
Alraunwurzel zog ich doch schon raus. -- Wenn ich
nur wüßte, ob der Wunsch Sünde wäre?"

"Welcher?"

"Wäre meine Mutter keine tugendhafte Frau
gewesen!"

Es folgte eine Pause: "Dein Vater ist nicht
schlimmer als Tausende."

"Ist das ein Trost, daß ich eine Partikel bin
von einer Partikel aus der allgemeinen Erbärm¬
lichkeit."

"Er läßt Dir Freiheit."

"Er läßt aller Welt die Freiheit, so niederträch¬
tig zu sein, wie sie Lust hat, damit er nicht scham¬
roth zu werden braucht."

"Das ist ein hartes Wort, dachte Walter, und
auch Louis mußte es denken, denn er war rasch auf¬
gesprungen und reichte dem Freunde die Hand:
"Adieu!"

Walter umfaßte seinen Arm, er wollte ihn in
der Aufgeregtheit nicht von sich lassen: "Du ver¬
wüstest Dich selbst. Ich bin nicht zum Moralprediger
geboren, aber -- Du warst es zu besserem."

"Was kann man denn besseres thun in dieser
Gesellschaft, als sich selbst verwüsten! Trinken, und

„Der höchſte Schmerz wäre Selbſtvernichtung,
und zum Selbſtmord ſchuf uns nicht die Natur! rief
Walter, ohne auf den Spott des Freundes zu achten.“

Louis hatte ſich aufgerichtet und verbarg wieder
das Geſicht in beiden Händen: „Ein Stück von der
Alraunwurzel zog ich doch ſchon raus. — Wenn ich
nur wüßte, ob der Wunſch Sünde wäre?“

„Welcher?“

„Wäre meine Mutter keine tugendhafte Frau
geweſen!“

Es folgte eine Pauſe: „Dein Vater iſt nicht
ſchlimmer als Tauſende.“

„Iſt das ein Troſt, daß ich eine Partikel bin
von einer Partikel aus der allgemeinen Erbärm¬
lichkeit.“

„Er läßt Dir Freiheit.“

„Er läßt aller Welt die Freiheit, ſo niederträch¬
tig zu ſein, wie ſie Luſt hat, damit er nicht ſcham¬
roth zu werden braucht.“

„Das iſt ein hartes Wort, dachte Walter, und
auch Louis mußte es denken, denn er war raſch auf¬
geſprungen und reichte dem Freunde die Hand:
„Adieu!“

Walter umfaßte ſeinen Arm, er wollte ihn in
der Aufgeregtheit nicht von ſich laſſen: „Du ver¬
wüſteſt Dich ſelbſt. Ich bin nicht zum Moralprediger
geboren, aber — Du warſt es zu beſſerem.“

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[166/0180] „Der höchſte Schmerz wäre Selbſtvernichtung, und zum Selbſtmord ſchuf uns nicht die Natur! rief Walter, ohne auf den Spott des Freundes zu achten.“ Louis hatte ſich aufgerichtet und verbarg wieder das Geſicht in beiden Händen: „Ein Stück von der Alraunwurzel zog ich doch ſchon raus. — Wenn ich nur wüßte, ob der Wunſch Sünde wäre?“ „Welcher?“ „Wäre meine Mutter keine tugendhafte Frau geweſen!“ Es folgte eine Pauſe: „Dein Vater iſt nicht ſchlimmer als Tauſende.“ „Iſt das ein Troſt, daß ich eine Partikel bin von einer Partikel aus der allgemeinen Erbärm¬ lichkeit.“ „Er läßt Dir Freiheit.“ „Er läßt aller Welt die Freiheit, ſo niederträch¬ tig zu ſein, wie ſie Luſt hat, damit er nicht ſcham¬ roth zu werden braucht.“ „Das iſt ein hartes Wort, dachte Walter, und auch Louis mußte es denken, denn er war raſch auf¬ geſprungen und reichte dem Freunde die Hand: „Adieu!“ Walter umfaßte ſeinen Arm, er wollte ihn in der Aufgeregtheit nicht von ſich laſſen: „Du ver¬ wüſteſt Dich ſelbſt. Ich bin nicht zum Moralprediger geboren, aber — Du warſt es zu beſſerem.“ „Was kann man denn beſſeres thun in dieſer Geſellſchaft, als ſich ſelbſt verwüſten! Trinken, und

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/180>, abgerufen am 22.11.2024.