wo ist denn Adelheid?" -- "Ach du mein Gott, ruft die Mutter, da trägt das Kind doch den schweren Korb der Jette. Hab ich's ihr nicht verboten?" Die Adelheid aber hüpft heran und setzt den Korb zu ihren Füßen nieder: "Mütterchen er war gar nicht schwer." Die Gluthröthe, die ihr Gesicht überzieht, straft sie Lügen. Sie steht einen Augenblick athem¬ los. "Aber englisches Mädchen wie konntest Du das thun!" Der Vater schüttelt den Kopf. Aber als ihre Röthe verschwindet, weist die Tochter auf das Mädchen, das noch röther gefärbt herankeucht: "Die Jette konnte ja nicht mehr." Der Vater mur¬ melte: "Dafür ist sie im Dienst", doch es schien ihm nicht Ernst; er klopfte der Tochter auf die leuchtenden Schultern: "Knüpfe Dein Tuch zu, Du bist echauffirt, und wir sind gleich im Dorf." Der Wind wehte in die alten Ulmen, als wollte er die kleine Dishar¬ monie weghauchen; die Jette nimmt wieder den schweren Korb auf die Hüfte und im Schatten der Bäume geht der Zug munter weiter. Die Jette stimmt einen damals sehr beliebten Gassenhauer an, und die Kinder fallen jubelnd ein:
Mein Gustchen, mein Gustchen,
Komm mit mir aufs Dorf,
Da singen die Vögel,
Da klappert der Storch;
Da tanzet die Maus,
Da fiedelt die Laus,
Da kukket der Kukkuk
Zum Fenster hinaus.
wo iſt denn Adelheid?“ — „Ach du mein Gott, ruft die Mutter, da trägt das Kind doch den ſchweren Korb der Jette. Hab ich's ihr nicht verboten?“ Die Adelheid aber hüpft heran und ſetzt den Korb zu ihren Füßen nieder: „Mütterchen er war gar nicht ſchwer.“ Die Gluthröthe, die ihr Geſicht überzieht, ſtraft ſie Lügen. Sie ſteht einen Augenblick athem¬ los. „Aber engliſches Mädchen wie konnteſt Du das thun!“ Der Vater ſchüttelt den Kopf. Aber als ihre Röthe verſchwindet, weiſt die Tochter auf das Mädchen, das noch röther gefärbt herankeucht: „Die Jette konnte ja nicht mehr.“ Der Vater mur¬ melte: „Dafür iſt ſie im Dienſt“, doch es ſchien ihm nicht Ernſt; er klopfte der Tochter auf die leuchtenden Schultern: „Knüpfe Dein Tuch zu, Du biſt echauffirt, und wir ſind gleich im Dorf.“ Der Wind wehte in die alten Ulmen, als wollte er die kleine Dishar¬ monie weghauchen; die Jette nimmt wieder den ſchweren Korb auf die Hüfte und im Schatten der Bäume geht der Zug munter weiter. Die Jette ſtimmt einen damals ſehr beliebten Gaſſenhauer an, und die Kinder fallen jubelnd ein:
Mein Guſtchen, mein Guſtchen,
Komm mit mir aufs Dorf,
Da ſingen die Vögel,
Da klappert der Storch;
Da tanzet die Maus,
Da fiedelt die Laus,
Da kukket der Kukkuk
Zum Fenſter hinaus.
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wo iſt denn Adelheid?“ — „Ach du mein Gott, ruft
die Mutter, da trägt das Kind doch den ſchweren
Korb der Jette. Hab ich's ihr nicht verboten?“ Die
Adelheid aber hüpft heran und ſetzt den Korb zu
ihren Füßen nieder: „Mütterchen er war gar nicht
ſchwer.“ Die Gluthröthe, die ihr Geſicht überzieht,
ſtraft ſie Lügen. Sie ſteht einen Augenblick athem¬
los. „Aber engliſches Mädchen wie konnteſt Du
das thun!“ Der Vater ſchüttelt den Kopf. Aber
als ihre Röthe verſchwindet, weiſt die Tochter auf
das Mädchen, das noch röther gefärbt herankeucht:
„Die Jette konnte ja nicht mehr.“ Der Vater mur¬
melte: „Dafür iſt ſie im Dienſt“, doch es ſchien ihm
nicht Ernſt; er klopfte der Tochter auf die leuchtenden
Schultern: „Knüpfe Dein Tuch zu, Du biſt echauffirt,
und wir ſind gleich im Dorf.“ Der Wind wehte in
die alten Ulmen, als wollte er die kleine Dishar¬
monie weghauchen; die Jette nimmt wieder den
ſchweren Korb auf die Hüfte und im Schatten der
Bäume geht der Zug munter weiter. Die Jette
ſtimmt einen damals ſehr beliebten Gaſſenhauer an,
und die Kinder fallen jubelnd ein:
Mein Guſtchen, mein Guſtchen,
Komm mit mir aufs Dorf,
Da ſingen die Vögel,
Da klappert der Storch;
Da tanzet die Maus,
Da fiedelt die Laus,
Da kukket der Kukkuk
Zum Fenſter hinaus.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/134>, abgerufen am 24.11.2024.
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