thiere" titulirte, nur Schlaglichter aufnahm, welche den wirklichen Zustand ahnen lassen, nicht ihn conterfeien. Und seit der Roman geschrieben ist -- seine Conception datirt von weit früher, die Ausarbeitung ist das Werk von Jahren -- ist ein vielgenanntes Buch erschienen, welches Aktenstücke, Zeugnisse von Zeitgenossen, über ein¬ ander schichtet, deren Wahrheit von einer Art ist, daß die Dichtung, ohne Versündigung gegen sich selbst, nicht wagen dürfte sie unverhüllt vorzuführen.
Ueber diesen Vorwurf -- der aus dem Vergleich mit seinen früheren vaterländischen Romanen entspringt, -- glaubt der Verfasser unbekümmerter hinweggehn zu dürfen, (die Leserinnen mögen es, wenn sie den ersten Theil über¬ schlagen) als über einen andern, den diese Vergleichung vielleicht hervorruft. Jene heitern zufrieden stellenden Bilder aus unserer Vorzeit erwarte man nicht in einem Gemälde aus der Zeit vor fünfzig Jahren. Nicht den Abendsonnenstrahl der durch die hohen Kieferwälder auf eine grüne Oase fällt und beim Gesang der Vögel die Steppe umher uns vergessen läßt, nicht jenes heimische Gefühl, wo die Sitte die Roheit gebändigt, die gemüth¬ liche Häuslichkeit die Unwirthlichkeit verbannt hat. Der moralische Flugsand hat über die Cultur eine andere Wildniß und Steppe gebreitet, eine Versumpfung der fließenden Gewässer, mit einer schillernden, bunten Decke. Wir dürfen hier nicht mehr nach Bildern "aus dem Volke" suchen, sondern sind auf Bilder "aus der Gesellschaft" hingewiesen, wenn wir nicht in völliger Mißkennung der Verhältnisse ein gänzlich falsches Bild der Zeit entwerfen wollen. Da mag denn das Gefühl, das keinen andern Leiter in sich findet, nicht im Zurückblick auf eine hellere
thiere“ titulirte, nur Schlaglichter aufnahm, welche den wirklichen Zuſtand ahnen laſſen, nicht ihn conterfeien. Und ſeit der Roman geſchrieben iſt — ſeine Conception datirt von weit früher, die Ausarbeitung iſt das Werk von Jahren — iſt ein vielgenanntes Buch erſchienen, welches Aktenſtücke, Zeugniſſe von Zeitgenoſſen, über ein¬ ander ſchichtet, deren Wahrheit von einer Art iſt, daß die Dichtung, ohne Verſündigung gegen ſich ſelbſt, nicht wagen dürfte ſie unverhüllt vorzuführen.
Ueber dieſen Vorwurf — der aus dem Vergleich mit ſeinen früheren vaterländiſchen Romanen entſpringt, — glaubt der Verfaſſer unbekümmerter hinweggehn zu dürfen, (die Leſerinnen mögen es, wenn ſie den erſten Theil über¬ ſchlagen) als über einen andern, den dieſe Vergleichung vielleicht hervorruft. Jene heitern zufrieden ſtellenden Bilder aus unſerer Vorzeit erwarte man nicht in einem Gemälde aus der Zeit vor fünfzig Jahren. Nicht den Abendſonnenſtrahl der durch die hohen Kieferwälder auf eine grüne Oaſe fällt und beim Geſang der Vögel die Steppe umher uns vergeſſen läßt, nicht jenes heimiſche Gefühl, wo die Sitte die Roheit gebändigt, die gemüth¬ liche Häuslichkeit die Unwirthlichkeit verbannt hat. Der moraliſche Flugſand hat über die Cultur eine andere Wildniß und Steppe gebreitet, eine Verſumpfung der fließenden Gewäſſer, mit einer ſchillernden, bunten Decke. Wir dürfen hier nicht mehr nach Bildern „aus dem Volke“ ſuchen, ſondern ſind auf Bilder „aus der Geſellſchaft“ hingewieſen, wenn wir nicht in völliger Mißkennung der Verhältniſſe ein gänzlich falſches Bild der Zeit entwerfen wollen. Da mag denn das Gefühl, das keinen andern Leiter in ſich findet, nicht im Zurückblick auf eine hellere
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[VII/0013]
thiere“ titulirte, nur Schlaglichter aufnahm, welche den
wirklichen Zuſtand ahnen laſſen, nicht ihn conterfeien.
Und ſeit der Roman geſchrieben iſt — ſeine Conception
datirt von weit früher, die Ausarbeitung iſt das Werk
von Jahren — iſt ein vielgenanntes Buch erſchienen,
welches Aktenſtücke, Zeugniſſe von Zeitgenoſſen, über ein¬
ander ſchichtet, deren Wahrheit von einer Art iſt, daß die
Dichtung, ohne Verſündigung gegen ſich ſelbſt, nicht wagen
dürfte ſie unverhüllt vorzuführen.
Ueber dieſen Vorwurf — der aus dem Vergleich mit
ſeinen früheren vaterländiſchen Romanen entſpringt, —
glaubt der Verfaſſer unbekümmerter hinweggehn zu dürfen,
(die Leſerinnen mögen es, wenn ſie den erſten Theil über¬
ſchlagen) als über einen andern, den dieſe Vergleichung
vielleicht hervorruft. Jene heitern zufrieden ſtellenden
Bilder aus unſerer Vorzeit erwarte man nicht in einem
Gemälde aus der Zeit vor fünfzig Jahren. Nicht den
Abendſonnenſtrahl der durch die hohen Kieferwälder auf
eine grüne Oaſe fällt und beim Geſang der Vögel die
Steppe umher uns vergeſſen läßt, nicht jenes heimiſche
Gefühl, wo die Sitte die Roheit gebändigt, die gemüth¬
liche Häuslichkeit die Unwirthlichkeit verbannt hat. Der
moraliſche Flugſand hat über die Cultur eine andere
Wildniß und Steppe gebreitet, eine Verſumpfung der
fließenden Gewäſſer, mit einer ſchillernden, bunten Decke.
Wir dürfen hier nicht mehr nach Bildern „aus dem Volke“
ſuchen, ſondern ſind auf Bilder „aus der Geſellſchaft“
hingewieſen, wenn wir nicht in völliger Mißkennung der
Verhältniſſe ein gänzlich falſches Bild der Zeit entwerfen
wollen. Da mag denn das Gefühl, das keinen andern
Leiter in ſich findet, nicht im Zurückblick auf eine hellere
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/13>, abgerufen am 11.12.2024.
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