Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

Bild:
<< vorherige Seite

Jhre Lippen stöhnten in halber Bewußtlosigkeit: "Blut!
Blut! überall Blut!" aber er richtete den Blick gegen
die Decke des Saales und wiederholte salbungsvoll:

"Ja, das Blut des Einen ward für uns Alle
vergossen!"

Jndem trat unser Hauptmann in den Saal. Er
hielt frohlockend ein Blatt in die Höhe und rief: "Nichts
von Blut mehr, Friede und Freundschaft, Festung Gi-
vet ist über."

Jblou hatte von Adelaiden abgelassen. Seine
ganze Aufmerksamkeit schien plötzlich auf einen andern
Gegenstand übergegangen. Mit drei Schritten stand
er am Hauptmann und faßte unwillkührlich dessen
Hand.

"Und die Besatzung?"

"Zieht frank und frei ab, jeder in seine Heimath,
wohin auch wir aufbrechen."

Der gewandte Weltmann, der politische Jntriguant,
hatte seine Fassung verloren. Leichenblaß stand er meh-
rere Secunden, man sah die vielfarbige Schminke sei-
nes Gesichtes, er vergaß zu verbergen, worauf er viel-
leicht sein Leben studirt hatte. Endlich sprach er ha-
stig, aber mit gedämpfter Stimme, wie noch athemlos
von einer innern Bewegung:

"Jch kann das Verfahren Jhrer Generale nicht
billigen. Hier war jede Gnade unangebracht. Wer

Jhre Lippen ſtöhnten in halber Bewußtloſigkeit: „Blut!
Blut! überall Blut!“ aber er richtete den Blick gegen
die Decke des Saales und wiederholte ſalbungsvoll:

„Ja, das Blut des Einen ward für uns Alle
vergoſſen!“

Jndem trat unſer Hauptmann in den Saal. Er
hielt frohlockend ein Blatt in die Höhe und rief: „Nichts
von Blut mehr, Friede und Freundſchaft, Feſtung Gi-
vet iſt über.“

Jblou hatte von Adelaiden abgelaſſen. Seine
ganze Aufmerkſamkeit ſchien plötzlich auf einen andern
Gegenſtand übergegangen. Mit drei Schritten ſtand
er am Hauptmann und faßte unwillkührlich deſſen
Hand.

„Und die Beſatzung?“

„Zieht frank und frei ab, jeder in ſeine Heimath,
wohin auch wir aufbrechen.“

Der gewandte Weltmann, der politiſche Jntriguant,
hatte ſeine Faſſung verloren. Leichenblaß ſtand er meh-
rere Secunden, man ſah die vielfarbige Schminke ſei-
nes Geſichtes, er vergaß zu verbergen, worauf er viel-
leicht ſein Leben ſtudirt hatte. Endlich ſprach er ha-
ſtig, aber mit gedämpfter Stimme, wie noch athemlos
von einer innern Bewegung:

„Jch kann das Verfahren Jhrer Generale nicht
billigen. Hier war jede Gnade unangebracht. Wer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0072"/>
Jhre Lippen &#x017F;töhnten in halber Bewußtlo&#x017F;igkeit: &#x201E;Blut!<lb/>
Blut! überall Blut!&#x201C; aber er richtete den Blick gegen<lb/>
die Decke des Saales und wiederholte &#x017F;albungsvoll:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, das Blut des Einen ward für uns Alle<lb/>
vergo&#x017F;&#x017F;en!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jndem trat un&#x017F;er Hauptmann in den Saal. Er<lb/>
hielt frohlockend ein Blatt in die Höhe und rief: &#x201E;Nichts<lb/>
von Blut mehr, Friede und Freund&#x017F;chaft, Fe&#x017F;tung Gi-<lb/>
vet i&#x017F;t über.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jblou hatte von Adelaiden abgela&#x017F;&#x017F;en. Seine<lb/>
ganze Aufmerk&#x017F;amkeit &#x017F;chien plötzlich auf einen andern<lb/>
Gegen&#x017F;tand übergegangen. Mit drei Schritten &#x017F;tand<lb/>
er am Hauptmann und faßte unwillkührlich de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Hand.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und die Be&#x017F;atzung?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Zieht frank und frei ab, jeder in &#x017F;eine Heimath,<lb/>
wohin auch wir aufbrechen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der gewandte Weltmann, der politi&#x017F;che Jntriguant,<lb/>
hatte &#x017F;eine Fa&#x017F;&#x017F;ung verloren. Leichenblaß &#x017F;tand er meh-<lb/>
rere Secunden, man &#x017F;ah die vielfarbige Schminke &#x017F;ei-<lb/>
nes Ge&#x017F;ichtes, er vergaß zu verbergen, worauf er viel-<lb/>
leicht &#x017F;ein Leben &#x017F;tudirt hatte. Endlich &#x017F;prach er ha-<lb/>
&#x017F;tig, aber mit gedämpfter Stimme, wie noch athemlos<lb/>
von einer innern Bewegung:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch kann das Verfahren Jhrer Generale nicht<lb/>
billigen. Hier war jede Gnade unangebracht. Wer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] Jhre Lippen ſtöhnten in halber Bewußtloſigkeit: „Blut! Blut! überall Blut!“ aber er richtete den Blick gegen die Decke des Saales und wiederholte ſalbungsvoll: „Ja, das Blut des Einen ward für uns Alle vergoſſen!“ Jndem trat unſer Hauptmann in den Saal. Er hielt frohlockend ein Blatt in die Höhe und rief: „Nichts von Blut mehr, Friede und Freundſchaft, Feſtung Gi- vet iſt über.“ Jblou hatte von Adelaiden abgelaſſen. Seine ganze Aufmerkſamkeit ſchien plötzlich auf einen andern Gegenſtand übergegangen. Mit drei Schritten ſtand er am Hauptmann und faßte unwillkührlich deſſen Hand. „Und die Beſatzung?“ „Zieht frank und frei ab, jeder in ſeine Heimath, wohin auch wir aufbrechen.“ Der gewandte Weltmann, der politiſche Jntriguant, hatte ſeine Faſſung verloren. Leichenblaß ſtand er meh- rere Secunden, man ſah die vielfarbige Schminke ſei- nes Geſichtes, er vergaß zu verbergen, worauf er viel- leicht ſein Leben ſtudirt hatte. Endlich ſprach er ha- ſtig, aber mit gedämpfter Stimme, wie noch athemlos von einer innern Bewegung: „Jch kann das Verfahren Jhrer Generale nicht billigen. Hier war jede Gnade unangebracht. Wer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Andreas Hungeling / https://www.stimm-los.de/: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-07-16T12:57:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-07-16T12:57:05Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/72
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/72>, abgerufen am 24.11.2024.