reichen, in den Augen der Welt glücklichen Mann von einer Gemüthsunruhe geplagt sah, die ihm das Cere- moniell des Hofmannes, oder die Höflichkeit des Wir- thes für Augenblicke ganz vergessen ließ. Dagegen un- terließ er keinen Morgen nüchtern die Messe zu besu- chen, und spendete an jedem Sonntage nach dem Got- tesdienste Almosen. Aber auch die Armen waren nicht auf seiner Seite. Jn der Unterhaltung vermied er gern politische Berührungen, und wußte immer das Gespräch auf die mannigfaltigsten allgemeinen Gegen- stände zu führen. Hier war er sich'rer, wenn auch nicht die Herzen, doch die Stimmung für sich zu ge- winnen.
Jch durchstreifte am andern Morgen das weit- läufige aus Quadern erbaute Schloß. Es lag in ei- ner waldigen Bergschlucht versteckt, und die wildesten Aussichten in die verschiedenen Gründe boten sich aus den Fenstern dar. Jnnen fand ich wenig, was mich gefesselt hätte. Wenn auch die Armuth nicht wie in den Dörfern herrschte, so trat doch überall eine ge- wisse Leere hervor, welche auch durch die zum Theil prachtvollen Möbel nicht gehoben wurde. Jm Kamine heulte der Oktobersturm, und die damastnen Tapeten waren an mehr als einer Stelle durchlöchert. Nur ein Bild, wie es schien, ein Familiengemälde, zog mich ungemein an. Ein ernster Mann, in einer schwarzen
reichen, in den Augen der Welt glücklichen Mann von einer Gemüthsunruhe geplagt ſah, die ihm das Cere- moniell des Hofmannes, oder die Höflichkeit des Wir- thes für Augenblicke ganz vergeſſen ließ. Dagegen un- terließ er keinen Morgen nüchtern die Meſſe zu beſu- chen, und ſpendete an jedem Sonntage nach dem Got- tesdienſte Almoſen. Aber auch die Armen waren nicht auf ſeiner Seite. Jn der Unterhaltung vermied er gern politiſche Berührungen, und wußte immer das Geſpräch auf die mannigfaltigſten allgemeinen Gegen- ſtände zu führen. Hier war er ſich’rer, wenn auch nicht die Herzen, doch die Stimmung für ſich zu ge- winnen.
Jch durchſtreifte am andern Morgen das weit- läufige aus Quadern erbaute Schloß. Es lag in ei- ner waldigen Bergſchlucht verſteckt, und die wildeſten Ausſichten in die verſchiedenen Gründe boten ſich aus den Fenſtern dar. Jnnen fand ich wenig, was mich gefeſſelt hätte. Wenn auch die Armuth nicht wie in den Dörfern herrſchte, ſo trat doch überall eine ge- wiſſe Leere hervor, welche auch durch die zum Theil prachtvollen Möbel nicht gehoben wurde. Jm Kamine heulte der Oktoberſturm, und die damaſtnen Tapeten waren an mehr als einer Stelle durchlöchert. Nur ein Bild, wie es ſchien, ein Familiengemälde, zog mich ungemein an. Ein ernſter Mann, in einer ſchwarzen
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reichen, in den Augen der Welt glücklichen Mann von
einer Gemüthsunruhe geplagt ſah, die ihm das Cere-
moniell des Hofmannes, oder die Höflichkeit des Wir-
thes für Augenblicke ganz vergeſſen ließ. Dagegen un-
terließ er keinen Morgen nüchtern die Meſſe zu beſu-
chen, und ſpendete an jedem Sonntage nach dem Got-
tesdienſte Almoſen. Aber auch die Armen waren nicht
auf ſeiner Seite. Jn der Unterhaltung vermied er
gern politiſche Berührungen, und wußte immer das
Geſpräch auf die mannigfaltigſten allgemeinen Gegen-
ſtände zu führen. Hier war er ſich’rer, wenn auch
nicht die Herzen, doch die Stimmung für ſich zu ge-
winnen.
Jch durchſtreifte am andern Morgen das weit-
läufige aus Quadern erbaute Schloß. Es lag in ei-
ner waldigen Bergſchlucht verſteckt, und die wildeſten
Ausſichten in die verſchiedenen Gründe boten ſich aus
den Fenſtern dar. Jnnen fand ich wenig, was mich
gefeſſelt hätte. Wenn auch die Armuth nicht wie in
den Dörfern herrſchte, ſo trat doch überall eine ge-
wiſſe Leere hervor, welche auch durch die zum Theil
prachtvollen Möbel nicht gehoben wurde. Jm Kamine
heulte der Oktoberſturm, und die damaſtnen Tapeten
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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/63>, abgerufen am 30.07.2024.
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