sie überhaupt lebensfähig in die Welt treten. So furchtbar und er- schreckend uns dieses Hekatombenopfer anmutet, es hindert, wenn man längere Zeiträume ins Auge faßt, die schrankenlose Ausbreitung des minderwertigen Bildungsmateriales der Menschheit. Fallen aber einer- seits die einer Kompensation nicht fähigen minderwertigen Organe unter dem Drucke der Außenwelt einem rascheren oder langsameren Verderben anheim, so gestaltet die Natur andrerseits aus diesen Or- ganen durch Schaffung einer Kompensation Apparate von variablerer Funk- tion und Morphologie, die sich in vielen Fällen als durchaus leistungs- fähig erweisen und den äußeren Verhältnissen um einiges besser ange- paßt sind, da sie ja aus der Überwindung dieser äußeren Widerstände ihren Kraftzuwachs bezogen haben. Ihre Überwertigkeit ist tief begrün- det in dem Zwange eines ständigen Trainings, in der den minder- wertigen Organen oftmals anhaftenden Variabilität und größeren Wachs- tumstendenz und in der durch die innere Aufmerksamkeit und Konzen- tration erhöhten Ausbildung des zugehörigen nervösen und psychischen Komplexes. Die Anpassung an geänderte Lebensverhältnisse vollzieht sich also in erster Linie nicht im Kampfe ums Da- sein durch das Überleben des zufällig Stärkeren, sondern auf Grundlage der Variabilität und gesteigerten Wachstums- tendenz minderwertiger Organe.
Wir haben die Heredität als eines der wichtigsten Kennzeichen minderwertiger Organe hingestellt und diese Relation durch das Phä- nomen der gleichzeitigen Minderwertigkeit des Sexualapparates begreif- lich zu machen gesucht. Unter den Erklärungsmöglichkeiten dieser Er- scheinung dürfte eine solche den vordersten Platz einnehmen, die mit der zu leistenden Mehrarbeit des minderwertigen Organes rechnet, so daß einer starken Beanspruchung des Organes eine Hemmung seines embryonalen Äquivalents in den Genitaldrüsen entspräche. Übrigens ist nicht alles, was als erworbene Eigenschaft aufgefaßt wird, ohne Be- ziehung zum minderwertigen Organ. Es kann im Gegenteil angenommen werden, daß sich die eingreifendsten Veränderungen und Schäden im minderwertigen Organ abspielen, dessen Heredität, embryonale Plastizität und variabler Charakter über jeden Zweifel erhaben ist.
Der Hinweis auf die gesamte organische Welt ergibt sich von selbst. Und somit erscheint die Lehre von der Organminderwertigkeit berufen, die Deszendenztheorie in ihren wichtigsten Punkten zu er- weitern und zu stützen.
sie überhaupt lebensfähig in die Welt treten. So furchtbar und er- schreckend uns dieses Hekatombenopfer anmutet, es hindert, wenn man längere Zeiträume ins Auge faßt, die schrankenlose Ausbreitung des minderwertigen Bildungsmateriales der Menschheit. Fallen aber einer- seits die einer Kompensation nicht fähigen minderwertigen Organe unter dem Drucke der Außenwelt einem rascheren oder langsameren Verderben anheim, so gestaltet die Natur andrerseits aus diesen Or- ganen durch Schaffung einer Kompensation Apparate von variablerer Funk- tion und Morphologie, die sich in vielen Fällen als durchaus leistungs- fähig erweisen und den äußeren Verhältnissen um einiges besser ange- paßt sind, da sie ja aus der Überwindung dieser äußeren Widerstände ihren Kraftzuwachs bezogen haben. Ihre Überwertigkeit ist tief begrün- det in dem Zwange eines ständigen Trainings, in der den minder- wertigen Organen oftmals anhaftenden Variabilität und größeren Wachs- tumstendenz und in der durch die innere Aufmerksamkeit und Konzen- tration erhöhten Ausbildung des zugehörigen nervösen und psychischen Komplexes. Die Anpassung an geänderte Lebensverhältnisse vollzieht sich also in erster Linie nicht im Kampfe ums Da- sein durch das Überleben des zufällig Stärkeren, sondern auf Grundlage der Variabilität und gesteigerten Wachstums- tendenz minderwertiger Organe.
Wir haben die Heredität als eines der wichtigsten Kennzeichen minderwertiger Organe hingestellt und diese Relation durch das Phä- nomen der gleichzeitigen Minderwertigkeit des Sexualapparates begreif- lich zu machen gesucht. Unter den Erklärungsmöglichkeiten dieser Er- scheinung dürfte eine solche den vordersten Platz einnehmen, die mit der zu leistenden Mehrarbeit des minderwertigen Organes rechnet, so daß einer starken Beanspruchung des Organes eine Hemmung seines embryonalen Äquivalents in den Genitaldrüsen entspräche. Übrigens ist nicht alles, was als erworbene Eigenschaft aufgefaßt wird, ohne Be- ziehung zum minderwertigen Organ. Es kann im Gegenteil angenommen werden, daß sich die eingreifendsten Veränderungen und Schäden im minderwertigen Organ abspielen, dessen Heredität, embryonale Plastizität und variabler Charakter über jeden Zweifel erhaben ist.
Der Hinweis auf die gesamte organische Welt ergibt sich von selbst. Und somit erscheint die Lehre von der Organminderwertigkeit berufen, die Deszendenztheorie in ihren wichtigsten Punkten zu er- weitern und zu stützen.
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sie überhaupt lebensfähig in die Welt treten. So furchtbar und er-
schreckend uns dieses Hekatombenopfer anmutet, es hindert, wenn man
längere Zeiträume ins Auge faßt, die schrankenlose Ausbreitung des
minderwertigen Bildungsmateriales der Menschheit. Fallen aber einer-
seits die einer Kompensation nicht fähigen minderwertigen Organe
unter dem Drucke der Außenwelt einem rascheren oder langsameren
Verderben anheim, so gestaltet die Natur andrerseits aus diesen Or-
ganen durch Schaffung einer Kompensation Apparate von variablerer Funk-
tion und Morphologie, die sich in vielen Fällen als durchaus leistungs-
fähig erweisen und den äußeren Verhältnissen um einiges besser ange-
paßt sind, da sie ja aus der Überwindung dieser äußeren Widerstände
ihren Kraftzuwachs bezogen haben. Ihre Überwertigkeit ist tief begrün-
det in dem Zwange eines ständigen Trainings, in der den minder-
wertigen Organen oftmals anhaftenden Variabilität und größeren Wachs-
tumstendenz und in der durch die innere Aufmerksamkeit und Konzen-
tration erhöhten Ausbildung des zugehörigen nervösen und psychischen
Komplexes. Die Anpassung an geänderte Lebensverhältnisse
vollzieht sich also in erster Linie nicht im Kampfe ums Da-
sein durch das Überleben des zufällig Stärkeren, sondern
auf Grundlage der Variabilität und gesteigerten Wachstums-
tendenz minderwertiger Organe.
Wir haben die Heredität als eines der wichtigsten Kennzeichen
minderwertiger Organe hingestellt und diese Relation durch das Phä-
nomen der gleichzeitigen Minderwertigkeit des Sexualapparates begreif-
lich zu machen gesucht. Unter den Erklärungsmöglichkeiten dieser Er-
scheinung dürfte eine solche den vordersten Platz einnehmen, die mit
der zu leistenden Mehrarbeit des minderwertigen Organes rechnet, so
daß einer starken Beanspruchung des Organes eine Hemmung seines
embryonalen Äquivalents in den Genitaldrüsen entspräche. Übrigens ist
nicht alles, was als erworbene Eigenschaft aufgefaßt wird, ohne Be-
ziehung zum minderwertigen Organ. Es kann im Gegenteil angenommen
werden, daß sich die eingreifendsten Veränderungen und Schäden im
minderwertigen Organ abspielen, dessen Heredität, embryonale Plastizität
und variabler Charakter über jeden Zweifel erhaben ist.
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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/86>, abgerufen am 17.02.2025.
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