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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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nur als qualitative empfunden werden, was sofort begreiflich erscheint,
wenn man die drei wichtigsten Konstellationen aus Organ- und Nerven-
minderwertigkeit in ihren Ergebnissen nebeneinander stellt: Degene-
ration--Neurose--Genie
. Die zu einer Kompensation unfähigen
minderwertigen Organe fallen unter dem Einfluß der Außenwelt einem
rascheren oder langsameren Verderben anheim. Andrerseits gestaltet
die Natur aus minderwertigen Organen unter dem Einfluß von Kom-
pensation Apparate von variablerer Funktion und Morphologie, die sich
in vielen Fällen als durchaus leistungsfähig erweisen und den äußeren
Verhältnissen zuweilen um einiges besser angepaßt sind, da sie ja aus
der Überwindung dieser äußeren Widerstände ihren Kraftzuwachs be-
zogen haben, demnach die Probe bestanden haben. Zwischen diesen ex-
tremen Fällen liegen nun noch Mischbildungen und solche, bei denen
die Kompensation nicht völlig durchzusetzen war, sei es infolge eines
Mangels an Reservekräften oder infolge vorzeitiger Erschöpfung dieser
Kräfte, Kompensationsstörung. Unter bestimmten Bedingungen ent-
wickeln sich aus dieser Gruppe die Fälle von Neurosen und Psycho-
neurosen. Einige Anhaltspunkte sollen im folgenden noch berührt werden.

Funktionelle und morphologische Ausbildung des Organes und
seiner Nervenbahnen sind, wie bei normaler Entwicklung, teils Folge
der Reizaufnahme, teils Ergebnis des andauernden Strebens, das min-
derwertige Material leistungsfähig zu machen. In der Regel wird das
Zentralnervensystem den Hauptanteil an dieser Kompensation nehmen.
Und nicht nur physisch, etwa durch besondere Ausbildung der Nerven-
bahnen, Assoziationsfasern, durch Umwandlung eines hereditären Re-
flexmangels in Steigerung der Reflexfähigkeit, sondern vor allem auf
psychischen Wegen dadurch, daß ein besonderes Interesse das
minderwertige Organ zu behüten sucht
und durch dauernde
Aufmerksamkeit den Schaden zu verhüten trachtet, der vielleicht im
kleinen jedesmal den Anstoß gibt, die Aufmerksamkeit zu wecken, zu
steigern und an jenes Organ zu binden.

Eine weitere Verstärkung erfährt dieser psychische Antrieb, so-
bald das minderwertige Organ nicht mehr seinen eigenen Spuren folgen,
sondern sich dem Joche der Kultur beugen soll. Wie dabei organische
Triebe verändert, veredelt, psychisch ausgestaltet, oft in ihren polaren
Gegensatz verwandelt werden -- Vorgänge, die von Freud unter "or-
ganischer Verdrängung
" zusammengefaßt wurden --, soll noch
beleuchtet werden.

Nun ist dies der Arbeitsweise des vollwertigen Organes gegen-
über gehalten ohne Zweifel Mehrarbeit und wird sich als solche im

nur als qualitative empfunden werden, was sofort begreiflich erscheint,
wenn man die drei wichtigsten Konstellationen aus Organ- und Nerven-
minderwertigkeit in ihren Ergebnissen nebeneinander stellt: Degene-
ration—Neurose—Genie
. Die zu einer Kompensation unfähigen
minderwertigen Organe fallen unter dem Einfluß der Außenwelt einem
rascheren oder langsameren Verderben anheim. Andrerseits gestaltet
die Natur aus minderwertigen Organen unter dem Einfluß von Kom-
pensation Apparate von variablerer Funktion und Morphologie, die sich
in vielen Fällen als durchaus leistungsfähig erweisen und den äußeren
Verhältnissen zuweilen um einiges besser angepaßt sind, da sie ja aus
der Überwindung dieser äußeren Widerstände ihren Kraftzuwachs be-
zogen haben, demnach die Probe bestanden haben. Zwischen diesen ex-
tremen Fällen liegen nun noch Mischbildungen und solche, bei denen
die Kompensation nicht völlig durchzusetzen war, sei es infolge eines
Mangels an Reservekräften oder infolge vorzeitiger Erschöpfung dieser
Kräfte, Kompensationsstörung. Unter bestimmten Bedingungen ent-
wickeln sich aus dieser Gruppe die Fälle von Neurosen und Psycho-
neurosen. Einige Anhaltspunkte sollen im folgenden noch berührt werden.

Funktionelle und morphologische Ausbildung des Organes und
seiner Nervenbahnen sind, wie bei normaler Entwicklung, teils Folge
der Reizaufnahme, teils Ergebnis des andauernden Strebens, das min-
derwertige Material leistungsfähig zu machen. In der Regel wird das
Zentralnervensystem den Hauptanteil an dieser Kompensation nehmen.
Und nicht nur physisch, etwa durch besondere Ausbildung der Nerven-
bahnen, Assoziationsfasern, durch Umwandlung eines hereditären Re-
flexmangels in Steigerung der Reflexfähigkeit, sondern vor allem auf
psychischen Wegen dadurch, daß ein besonderes Interesse das
minderwertige Organ zu behüten sucht
und durch dauernde
Aufmerksamkeit den Schaden zu verhüten trachtet, der vielleicht im
kleinen jedesmal den Anstoß gibt, die Aufmerksamkeit zu wecken, zu
steigern und an jenes Organ zu binden.

Eine weitere Verstärkung erfährt dieser psychische Antrieb, so-
bald das minderwertige Organ nicht mehr seinen eigenen Spuren folgen,
sondern sich dem Joche der Kultur beugen soll. Wie dabei organische
Triebe verändert, veredelt, psychisch ausgestaltet, oft in ihren polaren
Gegensatz verwandelt werden — Vorgänge, die von Freud unter „or-
ganischer Verdrängung
“ zusammengefaßt wurden —, soll noch
beleuchtet werden.

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über gehalten ohne Zweifel Mehrarbeit und wird sich als solche im

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[62/0074] nur als qualitative empfunden werden, was sofort begreiflich erscheint, wenn man die drei wichtigsten Konstellationen aus Organ- und Nerven- minderwertigkeit in ihren Ergebnissen nebeneinander stellt: Degene- ration—Neurose—Genie. Die zu einer Kompensation unfähigen minderwertigen Organe fallen unter dem Einfluß der Außenwelt einem rascheren oder langsameren Verderben anheim. Andrerseits gestaltet die Natur aus minderwertigen Organen unter dem Einfluß von Kom- pensation Apparate von variablerer Funktion und Morphologie, die sich in vielen Fällen als durchaus leistungsfähig erweisen und den äußeren Verhältnissen zuweilen um einiges besser angepaßt sind, da sie ja aus der Überwindung dieser äußeren Widerstände ihren Kraftzuwachs be- zogen haben, demnach die Probe bestanden haben. Zwischen diesen ex- tremen Fällen liegen nun noch Mischbildungen und solche, bei denen die Kompensation nicht völlig durchzusetzen war, sei es infolge eines Mangels an Reservekräften oder infolge vorzeitiger Erschöpfung dieser Kräfte, Kompensationsstörung. Unter bestimmten Bedingungen ent- wickeln sich aus dieser Gruppe die Fälle von Neurosen und Psycho- neurosen. Einige Anhaltspunkte sollen im folgenden noch berührt werden. Funktionelle und morphologische Ausbildung des Organes und seiner Nervenbahnen sind, wie bei normaler Entwicklung, teils Folge der Reizaufnahme, teils Ergebnis des andauernden Strebens, das min- derwertige Material leistungsfähig zu machen. In der Regel wird das Zentralnervensystem den Hauptanteil an dieser Kompensation nehmen. Und nicht nur physisch, etwa durch besondere Ausbildung der Nerven- bahnen, Assoziationsfasern, durch Umwandlung eines hereditären Re- flexmangels in Steigerung der Reflexfähigkeit, sondern vor allem auf psychischen Wegen dadurch, daß ein besonderes Interesse das minderwertige Organ zu behüten sucht und durch dauernde Aufmerksamkeit den Schaden zu verhüten trachtet, der vielleicht im kleinen jedesmal den Anstoß gibt, die Aufmerksamkeit zu wecken, zu steigern und an jenes Organ zu binden. Eine weitere Verstärkung erfährt dieser psychische Antrieb, so- bald das minderwertige Organ nicht mehr seinen eigenen Spuren folgen, sondern sich dem Joche der Kultur beugen soll. Wie dabei organische Triebe verändert, veredelt, psychisch ausgestaltet, oft in ihren polaren Gegensatz verwandelt werden — Vorgänge, die von Freud unter „or- ganischer Verdrängung“ zusammengefaßt wurden —, soll noch beleuchtet werden. Nun ist dies der Arbeitsweise des vollwertigen Organes gegen- über gehalten ohne Zweifel Mehrarbeit und wird sich als solche im

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/74>, abgerufen am 30.11.2024.