Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

Bild:
<< vorherige Seite

spotten; sie fand, dass die Engländer Recht hatten, die Franzosen für Kinder zu halten.

Frau Phlipon sah ein, dass man den Geist ihrer Tochter beschäftigen müsse, und legte ihren Studien keine Hindernisse in den Weg. Geschichte und Philosophie waren nun die zwei Hauptgegenstände, die ihr Interesse wachriefen. Selbst die Gefahr der Ungläubigkeit, die durch diese Studien entstand, hinderte Madame Phlipon nicht, sie gewähren zu lassen. Es war ihr lieber, die Phantasie, als das Herz ihres Kindes mit fortgerissen zu sehen! "Ach mein Gott! Welche vergebliche Mühe, seinem Schicksale auszuweichen!" Im Augenblick, wo ein junges Mädchen das Alter erreicht, das seine Entwicklung ankündigt, heftet sich der Schwarm der Verehrer an ihre Fersen, gleich dem Bienenschwarm, der um die eben erblühte Rose summt. Manon war in einer sehr puritanischen Weise aufgezogen worden und lebte sehr zurückgezogen. Es stellte sich trotzdem eine Menge von Freiern ein. Sie umgingen die Schwierigkeit, ins Haus eingeführt zu werden, indem sie den schriftlichen Weg betraten. Ihr Vater brachte ihr jedesmal die Briefe dieser Art. Sie verfasste dann regelmässig selbst die Absagebriefe, die ihr Vater getreulich abschrieb. Die Herren wurden mit Würde, ohne Hoffnung und Beleidigung, abgewiesen. So passierte die ganze junge Herrenwelt der Vorstadt, in der sie lebte, Revue. Ihr Vater legte nur auf Reichtum Gewicht, alle, die nicht ein solides Vermögen oder alte, gutgehende Geschäftshäuser hatten, erlangten nicht seinen Beifall. Kam aber einer, der ihm nach dieser Richtung entsprach, so sah er es mit Schmerz, wenn seine Tochter sich nicht entschliessen wollte.

Von jener Zeit an begannen sich die Gegensätze zwischen ihr und ihrem Vater immer mehr zuzuspitzen. Er liebte und achtete den Handel, weil er ihn als die Quelle des Reichtums betrachtete, sie hingegen hasste ihn, weil er in ihren Augen die Quelle des Geizes und der Betrügerei war. Ihr Vater begriff nicht, dass ein eleganter

spotten; sie fand, dass die Engländer Recht hatten, die Franzosen für Kinder zu halten.

Frau Phlipon sah ein, dass man den Geist ihrer Tochter beschäftigen müsse, und legte ihren Studien keine Hindernisse in den Weg. Geschichte und Philosophie waren nun die zwei Hauptgegenstände, die ihr Interesse wachriefen. Selbst die Gefahr der Ungläubigkeit, die durch diese Studien entstand, hinderte Madame Phlipon nicht, sie gewähren zu lassen. Es war ihr lieber, die Phantasie, als das Herz ihres Kindes mit fortgerissen zu sehen! „Ach mein Gott! Welche vergebliche Mühe, seinem Schicksale auszuweichen!“ Im Augenblick, wo ein junges Mädchen das Alter erreicht, das seine Entwicklung ankündigt, heftet sich der Schwarm der Verehrer an ihre Fersen, gleich dem Bienenschwarm, der um die eben erblühte Rose summt. Manon war in einer sehr puritanischen Weise aufgezogen worden und lebte sehr zurückgezogen. Es stellte sich trotzdem eine Menge von Freiern ein. Sie umgingen die Schwierigkeit, ins Haus eingeführt zu werden, indem sie den schriftlichen Weg betraten. Ihr Vater brachte ihr jedesmal die Briefe dieser Art. Sie verfasste dann regelmässig selbst die Absagebriefe, die ihr Vater getreulich abschrieb. Die Herren wurden mit Würde, ohne Hoffnung und Beleidigung, abgewiesen. So passierte die ganze junge Herrenwelt der Vorstadt, in der sie lebte, Revue. Ihr Vater legte nur auf Reichtum Gewicht, alle, die nicht ein solides Vermögen oder alte, gutgehende Geschäftshäuser hatten, erlangten nicht seinen Beifall. Kam aber einer, der ihm nach dieser Richtung entsprach, so sah er es mit Schmerz, wenn seine Tochter sich nicht entschliessen wollte.

Von jener Zeit an begannen sich die Gegensätze zwischen ihr und ihrem Vater immer mehr zuzuspitzen. Er liebte und achtete den Handel, weil er ihn als die Quelle des Reichtums betrachtete, sie hingegen hasste ihn, weil er in ihren Augen die Quelle des Geizes und der Betrügerei war. Ihr Vater begriff nicht, dass ein eleganter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="75"/>
spotten; sie fand, dass die Engländer Recht hatten, die Franzosen für Kinder zu halten.</p>
        <p>Frau Phlipon sah ein, dass man den Geist ihrer Tochter beschäftigen müsse, und legte ihren Studien keine Hindernisse in den Weg. Geschichte und Philosophie waren nun die zwei Hauptgegenstände, die ihr Interesse wachriefen. Selbst die Gefahr der Ungläubigkeit, die durch diese Studien <choice><sic>entsand</sic><corr>entstand</corr></choice>, hinderte Madame Phlipon nicht, sie gewähren zu lassen. Es war ihr lieber, die Phantasie, als das Herz ihres Kindes mit fortgerissen zu sehen! &#x201E;Ach mein Gott! Welche vergebliche Mühe, seinem Schicksale auszuweichen!&#x201C; Im Augenblick, wo ein junges Mädchen das Alter erreicht, das seine Entwicklung ankündigt, heftet sich der Schwarm der Verehrer an ihre Fersen, gleich dem Bienenschwarm, der um die eben erblühte Rose summt. Manon war in einer sehr puritanischen Weise aufgezogen worden und lebte sehr zurückgezogen. Es stellte sich trotzdem eine Menge von Freiern ein. Sie umgingen die Schwierigkeit, ins Haus eingeführt zu werden, indem sie den schriftlichen Weg betraten. Ihr Vater brachte ihr jedesmal die Briefe dieser Art. Sie verfasste dann regelmässig selbst die Absagebriefe, die ihr Vater getreulich abschrieb. Die Herren wurden mit Würde, ohne Hoffnung und Beleidigung, abgewiesen. So passierte die ganze junge Herrenwelt der Vorstadt, in der sie lebte, Revue. Ihr Vater legte nur auf Reichtum Gewicht, alle, die nicht ein solides Vermögen oder alte, gutgehende Geschäftshäuser hatten, erlangten nicht seinen Beifall. Kam aber einer, der ihm nach dieser Richtung entsprach, so sah er es mit Schmerz, wenn seine Tochter sich nicht entschliessen wollte.</p>
        <p>Von jener Zeit an begannen sich die Gegensätze zwischen ihr und ihrem Vater immer mehr zuzuspitzen. Er liebte und achtete den Handel, weil er ihn als die Quelle des Reichtums betrachtete, sie hingegen hasste ihn, weil er in ihren Augen die Quelle des Geizes und der Betrügerei war. Ihr Vater begriff nicht, dass ein eleganter
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0094] spotten; sie fand, dass die Engländer Recht hatten, die Franzosen für Kinder zu halten. Frau Phlipon sah ein, dass man den Geist ihrer Tochter beschäftigen müsse, und legte ihren Studien keine Hindernisse in den Weg. Geschichte und Philosophie waren nun die zwei Hauptgegenstände, die ihr Interesse wachriefen. Selbst die Gefahr der Ungläubigkeit, die durch diese Studien entstand, hinderte Madame Phlipon nicht, sie gewähren zu lassen. Es war ihr lieber, die Phantasie, als das Herz ihres Kindes mit fortgerissen zu sehen! „Ach mein Gott! Welche vergebliche Mühe, seinem Schicksale auszuweichen!“ Im Augenblick, wo ein junges Mädchen das Alter erreicht, das seine Entwicklung ankündigt, heftet sich der Schwarm der Verehrer an ihre Fersen, gleich dem Bienenschwarm, der um die eben erblühte Rose summt. Manon war in einer sehr puritanischen Weise aufgezogen worden und lebte sehr zurückgezogen. Es stellte sich trotzdem eine Menge von Freiern ein. Sie umgingen die Schwierigkeit, ins Haus eingeführt zu werden, indem sie den schriftlichen Weg betraten. Ihr Vater brachte ihr jedesmal die Briefe dieser Art. Sie verfasste dann regelmässig selbst die Absagebriefe, die ihr Vater getreulich abschrieb. Die Herren wurden mit Würde, ohne Hoffnung und Beleidigung, abgewiesen. So passierte die ganze junge Herrenwelt der Vorstadt, in der sie lebte, Revue. Ihr Vater legte nur auf Reichtum Gewicht, alle, die nicht ein solides Vermögen oder alte, gutgehende Geschäftshäuser hatten, erlangten nicht seinen Beifall. Kam aber einer, der ihm nach dieser Richtung entsprach, so sah er es mit Schmerz, wenn seine Tochter sich nicht entschliessen wollte. Von jener Zeit an begannen sich die Gegensätze zwischen ihr und ihrem Vater immer mehr zuzuspitzen. Er liebte und achtete den Handel, weil er ihn als die Quelle des Reichtums betrachtete, sie hingegen hasste ihn, weil er in ihren Augen die Quelle des Geizes und der Betrügerei war. Ihr Vater begriff nicht, dass ein eleganter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-02-11T11:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-02-11T11:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-02-11T11:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/94
Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/94>, abgerufen am 24.11.2024.