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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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und erfüllten sie mit Entsetzen. Das war eine harte Geduldsprobe, auf die Manon gestellt wurde. Als sie einmal durchaus nicht hingehen wollte, genügte es, dass ihre Mutter ihr Vorstellungen machte, dass es eine strenge und rühmliche Pflicht sei, die sie ihrer Mutter gegenüber erfülle, und dass es ehrenvoll sei, wenn sie sie mit ihr teile. Madame Phlipon verstand es, die Dinge so darzustellen, dass das Herz des Kindes diese Lehre mit Rührung aufnahm und darnach zu handeln bereit war.

Die Aufgaben füllten die Stunden des Tages derart aus, dass sie ihr für das, was sie unternehmen wollte, immer zu kurz wurden. Aber bald genügten ihr die Lehrbücher allein nicht mehr, sie entnahm der Hausbibliothek ein Buch nach dem andern, das gab eine recht zusammengewürfelte Lektüre: Die Bibel, die sie besonders anzog, das Leben der Heiligen, Geschichtswerke, Theaterstücke, kurz alles Gedruckte, das ihr in die Hände kam. Der Lerneifer beherrschte sie derart, dass sie einmal eine Abhandlung über Heraldik studierte. Aber endlich kannte sie alles, was in ihres Vaters Bibliothek stand, und suchte nach neuer Nahrung für ihren Geist. Durch Zufall entdeckte sie im Atelier ihres Vaters ein Versteck, wo die Schüler ihre Bücher aufbewahrten. Sie nahm immer eines im Geheimen weg und las es, sie gab es immer rechtzeitig zurück, bevor die Schüler kamen, so dass diese nichts bemerkten. Es waren im allgemeinen gute Werke. Eines Tages bemerkte Manon, dass ihre Mutter die gleiche Entdeckung wie sie gemacht habe, indem sie einen der Bände, den sie bereits kannte, in ihrer Hand sah. Danach genierte sie sich nicht weiter und entnahm die Bücher ganz ungescheut.

Reisebeschreibungen gehörten zu ihrer Lieblingslektüre. Aber allen voran waren die Werke Plutarchs die Geistesnahrung, die ihr entsprach.

Als sie neun Jahre alt war, es waren die Fasten von 1763, trug sie den Plutarch an Stelle des Andachtsbuches in die Kirche! Von dieser Zeit datieren die Eindrücke

und erfüllten sie mit Entsetzen. Das war eine harte Geduldsprobe, auf die Manon gestellt wurde. Als sie einmal durchaus nicht hingehen wollte, genügte es, dass ihre Mutter ihr Vorstellungen machte, dass es eine strenge und rühmliche Pflicht sei, die sie ihrer Mutter gegenüber erfülle, und dass es ehrenvoll sei, wenn sie sie mit ihr teile. Madame Phlipon verstand es, die Dinge so darzustellen, dass das Herz des Kindes diese Lehre mit Rührung aufnahm und darnach zu handeln bereit war.

Die Aufgaben füllten die Stunden des Tages derart aus, dass sie ihr für das, was sie unternehmen wollte, immer zu kurz wurden. Aber bald genügten ihr die Lehrbücher allein nicht mehr, sie entnahm der Hausbibliothek ein Buch nach dem andern, das gab eine recht zusammengewürfelte Lektüre: Die Bibel, die sie besonders anzog, das Leben der Heiligen, Geschichtswerke, Theaterstücke, kurz alles Gedruckte, das ihr in die Hände kam. Der Lerneifer beherrschte sie derart, dass sie einmal eine Abhandlung über Heraldik studierte. Aber endlich kannte sie alles, was in ihres Vaters Bibliothek stand, und suchte nach neuer Nahrung für ihren Geist. Durch Zufall entdeckte sie im Atelier ihres Vaters ein Versteck, wo die Schüler ihre Bücher aufbewahrten. Sie nahm immer eines im Geheimen weg und las es, sie gab es immer rechtzeitig zurück, bevor die Schüler kamen, so dass diese nichts bemerkten. Es waren im allgemeinen gute Werke. Eines Tages bemerkte Manon, dass ihre Mutter die gleiche Entdeckung wie sie gemacht habe, indem sie einen der Bände, den sie bereits kannte, in ihrer Hand sah. Danach genierte sie sich nicht weiter und entnahm die Bücher ganz ungescheut.

Reisebeschreibungen gehörten zu ihrer Lieblingslektüre. Aber allen voran waren die Werke Plutarchs die Geistesnahrung, die ihr entsprach.

Als sie neun Jahre alt war, es waren die Fasten von 1763, trug sie den Plutarch an Stelle des Andachtsbuches in die Kirche! Von dieser Zeit datieren die Eindrücke

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[58/0077] und erfüllten sie mit Entsetzen. Das war eine harte Geduldsprobe, auf die Manon gestellt wurde. Als sie einmal durchaus nicht hingehen wollte, genügte es, dass ihre Mutter ihr Vorstellungen machte, dass es eine strenge und rühmliche Pflicht sei, die sie ihrer Mutter gegenüber erfülle, und dass es ehrenvoll sei, wenn sie sie mit ihr teile. Madame Phlipon verstand es, die Dinge so darzustellen, dass das Herz des Kindes diese Lehre mit Rührung aufnahm und darnach zu handeln bereit war. Die Aufgaben füllten die Stunden des Tages derart aus, dass sie ihr für das, was sie unternehmen wollte, immer zu kurz wurden. Aber bald genügten ihr die Lehrbücher allein nicht mehr, sie entnahm der Hausbibliothek ein Buch nach dem andern, das gab eine recht zusammengewürfelte Lektüre: Die Bibel, die sie besonders anzog, das Leben der Heiligen, Geschichtswerke, Theaterstücke, kurz alles Gedruckte, das ihr in die Hände kam. Der Lerneifer beherrschte sie derart, dass sie einmal eine Abhandlung über Heraldik studierte. Aber endlich kannte sie alles, was in ihres Vaters Bibliothek stand, und suchte nach neuer Nahrung für ihren Geist. Durch Zufall entdeckte sie im Atelier ihres Vaters ein Versteck, wo die Schüler ihre Bücher aufbewahrten. Sie nahm immer eines im Geheimen weg und las es, sie gab es immer rechtzeitig zurück, bevor die Schüler kamen, so dass diese nichts bemerkten. Es waren im allgemeinen gute Werke. Eines Tages bemerkte Manon, dass ihre Mutter die gleiche Entdeckung wie sie gemacht habe, indem sie einen der Bände, den sie bereits kannte, in ihrer Hand sah. Danach genierte sie sich nicht weiter und entnahm die Bücher ganz ungescheut. Reisebeschreibungen gehörten zu ihrer Lieblingslektüre. Aber allen voran waren die Werke Plutarchs die Geistesnahrung, die ihr entsprach. Als sie neun Jahre alt war, es waren die Fasten von 1763, trug sie den Plutarch an Stelle des Andachtsbuches in die Kirche! Von dieser Zeit datieren die Eindrücke

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/77>, abgerufen am 24.11.2024.