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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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Fenstergitter in die Kniee sinken, ich habe die Hände ineinander gefaltet, wie um ihr Mitleid anzurufen. Sie ergiesst gewiss ihren Schmerz in deinen Busen. Ich sah gestern ihren Kummer, wie sie ihren Schleier übers Gesicht zog, da sie dieses Schauspiel nicht mitansehen konnte. Wenn ihr kommt, so soll sie sich näher zu dir setzen, damit ich euch besser sehen kann.

Schick' mir dein Bild, Lolotte, ich beschwöre dich. Im Schrecken meines Kerkers wird dies ein Fest für mich sein, ein Tag der Trunkenheit und der Verzückung. Schick' mir inzwischen eine Locke deines Haares, dass ich sie an mein Herz drücken kann. Nun bin ich wieder in die Zeiten meiner ersten Liebe zurückversetzt, wo mich irgendwer schon deshalb interessierte, weil er von dir kam. Gestern, als der Bürger, der dir meinen Brief überbracht hat, zurückkam, sagte ich ihm: "Wohlan, Ihr habt sie gesehen?" Ich ertappte mich dabei, wie mein Blick auf seinem Anzug, auf seiner Gestalt haften blieb, als ob etwas von deiner Gegenwart, etwas von dir, daran hängen geblieben wäre.

Das ist eine barmherzige Seele, da er dir den Brief ohne Verzug übergeben hat. Ich werde ihn, wie es scheint zweimal des Tages, früh und abends, sehen. Dieser Bote unserer Schmerzen wird mir eben so teuer, wie es mir ehemals der Bote unserer Freuden gewesen wäre.

Ich habe einen Spalt in meiner Zelle entdeckt, ich habe mein Ohr angelegt, ich habe seufzen gehört; ich habe einige Worte zu sagen gewagt, ich hörte die Stimme eines Kranken, der litt. Er hat mich nach meinem Namen gefragt, ich hab' ihm ihn genannt. "Ach mein Gott!" hat er bei diesem Namen ausgerufen, und fiel auf das Bett zurück, von dem er sich erhoben hatte, und ich habe deutlich Fabre d'Eglantine's Stimme erkannt. "Ja, ich bin Fabre," sagte er mir, "aber du da? Die Kontrerevolution ist also zustande gekommen?"

Wir wagen indessen nicht miteinander zu sprechen, aus Angst, dass der Hass uns auch dieses schwachen

Fenstergitter in die Kniee sinken, ich habe die Hände ineinander gefaltet, wie um ihr Mitleid anzurufen. Sie ergiesst gewiss ihren Schmerz in deinen Busen. Ich sah gestern ihren Kummer, wie sie ihren Schleier übers Gesicht zog, da sie dieses Schauspiel nicht mitansehen konnte. Wenn ihr kommt, so soll sie sich näher zu dir setzen, damit ich euch besser sehen kann.

Schick’ mir dein Bild, Lolotte, ich beschwöre dich. Im Schrecken meines Kerkers wird dies ein Fest für mich sein, ein Tag der Trunkenheit und der Verzückung. Schick’ mir inzwischen eine Locke deines Haares, dass ich sie an mein Herz drücken kann. Nun bin ich wieder in die Zeiten meiner ersten Liebe zurückversetzt, wo mich irgendwer schon deshalb interessierte, weil er von dir kam. Gestern, als der Bürger, der dir meinen Brief überbracht hat, zurückkam, sagte ich ihm: „Wohlan, Ihr habt sie gesehen?“ Ich ertappte mich dabei, wie mein Blick auf seinem Anzug, auf seiner Gestalt haften blieb, als ob etwas von deiner Gegenwart, etwas von dir, daran hängen geblieben wäre.

Das ist eine barmherzige Seele, da er dir den Brief ohne Verzug übergeben hat. Ich werde ihn, wie es scheint zweimal des Tages, früh und abends, sehen. Dieser Bote unserer Schmerzen wird mir eben so teuer, wie es mir ehemals der Bote unserer Freuden gewesen wäre.

Ich habe einen Spalt in meiner Zelle entdeckt, ich habe mein Ohr angelegt, ich habe seufzen gehört; ich habe einige Worte zu sagen gewagt, ich hörte die Stimme eines Kranken, der litt. Er hat mich nach meinem Namen gefragt, ich hab’ ihm ihn genannt. „Ach mein Gott!“ hat er bei diesem Namen ausgerufen, und fiel auf das Bett zurück, von dem er sich erhoben hatte, und ich habe deutlich Fabre d’Églantine’s Stimme erkannt. „Ja, ich bin Fabre,“ sagte er mir, „aber du da? Die Kontrerevolution ist also zustande gekommen?“

Wir wagen indessen nicht miteinander zu sprechen, aus Angst, dass der Hass uns auch dieses schwachen

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Fenstergitter in die Kniee sinken, ich habe die Hände ineinander gefaltet, wie um ihr Mitleid anzurufen. Sie ergiesst gewiss ihren Schmerz in deinen Busen. Ich sah gestern ihren Kummer, wie sie ihren Schleier übers Gesicht zog, da sie dieses Schauspiel nicht mitansehen konnte. Wenn ihr kommt, so soll sie sich näher zu dir setzen, damit ich euch besser sehen kann.</p>
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[174/0194] Fenstergitter in die Kniee sinken, ich habe die Hände ineinander gefaltet, wie um ihr Mitleid anzurufen. Sie ergiesst gewiss ihren Schmerz in deinen Busen. Ich sah gestern ihren Kummer, wie sie ihren Schleier übers Gesicht zog, da sie dieses Schauspiel nicht mitansehen konnte. Wenn ihr kommt, so soll sie sich näher zu dir setzen, damit ich euch besser sehen kann. Schick’ mir dein Bild, Lolotte, ich beschwöre dich. Im Schrecken meines Kerkers wird dies ein Fest für mich sein, ein Tag der Trunkenheit und der Verzückung. Schick’ mir inzwischen eine Locke deines Haares, dass ich sie an mein Herz drücken kann. Nun bin ich wieder in die Zeiten meiner ersten Liebe zurückversetzt, wo mich irgendwer schon deshalb interessierte, weil er von dir kam. Gestern, als der Bürger, der dir meinen Brief überbracht hat, zurückkam, sagte ich ihm: „Wohlan, Ihr habt sie gesehen?“ Ich ertappte mich dabei, wie mein Blick auf seinem Anzug, auf seiner Gestalt haften blieb, als ob etwas von deiner Gegenwart, etwas von dir, daran hängen geblieben wäre. Das ist eine barmherzige Seele, da er dir den Brief ohne Verzug übergeben hat. Ich werde ihn, wie es scheint zweimal des Tages, früh und abends, sehen. Dieser Bote unserer Schmerzen wird mir eben so teuer, wie es mir ehemals der Bote unserer Freuden gewesen wäre. Ich habe einen Spalt in meiner Zelle entdeckt, ich habe mein Ohr angelegt, ich habe seufzen gehört; ich habe einige Worte zu sagen gewagt, ich hörte die Stimme eines Kranken, der litt. Er hat mich nach meinem Namen gefragt, ich hab’ ihm ihn genannt. „Ach mein Gott!“ hat er bei diesem Namen ausgerufen, und fiel auf das Bett zurück, von dem er sich erhoben hatte, und ich habe deutlich Fabre d’Églantine’s Stimme erkannt. „Ja, ich bin Fabre,“ sagte er mir, „aber du da? Die Kontrerevolution ist also zustande gekommen?“ Wir wagen indessen nicht miteinander zu sprechen, aus Angst, dass der Hass uns auch dieses schwachen

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/194>, abgerufen am 23.11.2024.