Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.Sie war bis zum 10. August 1792 die ehrenhafte, liebende, ihren Mann vergötternde Gattin, die ihm nicht auf den großen Schauplatz der Revolution hinaus folgte, die ihn aber nie hinderte, seine Pflicht zu tun. Nur einmal warf sie alle Schüchternheit ab, sie verließ ihr stilles Heim, um sich auf den Kampfplatz zu begeben. Als Desmoulins Leben in Gefahr war, konnte sie nichts zurückhalten. Sie kannte nicht weiter falsche Scham noch Angst, sie schreckte vor nichts zurück, nicht einmal vor dem Schafott, um ihren Geliebten zu retten. Denn die Tage des Friedens und des Glückes waren vorüber, die glücklichen Zeiten waren verschwunden, die Stunde der Versuchung war gekommen. Der 10. August 1792 war der Tag, an dem das Volk von Paris die Tuilerien erstürmte und die alte Dynastie der Bourbonen stürzte. Lucile fühlte da zum erstenmal bewusst, dass der Dienst der Freiheit Opfer an Ruhe und Frieden fordere, dass die Tage der Revolution Tage der Bangigkeit, Aufregung und Sorge sind. Lucile erzählt selbst die Aufregungen der Nacht vom 10. August: "Am 8. August bin ich vom Lande zurückgekommen. Schon gährte es in allen Geistern; ich hatte die Marseiller zu Tisch. Wir unterhielten uns lebhaft. Nach Tisch waren wir bei Madame Danton, sie konnte kaum trauriger sein, als sie es an jenem Tage war, ihr Kleiner war verschüchtert. Danton schien entschlossen, ich lachte wie eine Tolle. Sie fürchteten, dass das Ereignis nicht stattfinden werde; trotzdem ich gar nicht überzeugt war, sagte ich ihnen, dass es stattfinden werde, wie wenn ich es genau gewusst hätte. "Aber wie kann man nur derart lachen," sagte Madame Danton zu mir. - "Ach," sagte ich, "das ist mir eine Vorbedeutung, dass ich heute abends viele Tränen vergiessen werde." Es war schönes Wetter, wir machten die Runde durch mehrere Strassen, es gab da Leute genug, mehrere Sanskülotten gingen vorbei, indem sie schrieen: "Es lebe die Nation!" Dann kamen Trupps zu Pferde und dann unübersehbare Massen. Die Angst erfasste Sie war bis zum 10. August 1792 die ehrenhafte, liebende, ihren Mann vergötternde Gattin, die ihm nicht auf den großen Schauplatz der Revolution hinaus folgte, die ihn aber nie hinderte, seine Pflicht zu tun. Nur einmal warf sie alle Schüchternheit ab, sie verließ ihr stilles Heim, um sich auf den Kampfplatz zu begeben. Als Desmoulins Leben in Gefahr war, konnte sie nichts zurückhalten. Sie kannte nicht weiter falsche Scham noch Angst, sie schreckte vor nichts zurück, nicht einmal vor dem Schafott, um ihren Geliebten zu retten. Denn die Tage des Friedens und des Glückes waren vorüber, die glücklichen Zeiten waren verschwunden, die Stunde der Versuchung war gekommen. Der 10. August 1792 war der Tag, an dem das Volk von Paris die Tuilerien erstürmte und die alte Dynastie der Bourbonen stürzte. Lucile fühlte da zum erstenmal bewusst, dass der Dienst der Freiheit Opfer an Ruhe und Frieden fordere, dass die Tage der Revolution Tage der Bangigkeit, Aufregung und Sorge sind. Lucile erzählt selbst die Aufregungen der Nacht vom 10. August: „Am 8. August bin ich vom Lande zurückgekommen. Schon gährte es in allen Geistern; ich hatte die Marseiller zu Tisch. Wir unterhielten uns lebhaft. Nach Tisch waren wir bei Madame Danton, sie konnte kaum trauriger sein, als sie es an jenem Tage war, ihr Kleiner war verschüchtert. Danton schien entschlossen, ich lachte wie eine Tolle. Sie fürchteten, dass das Ereignis nicht stattfinden werde; trotzdem ich gar nicht überzeugt war, sagte ich ihnen, dass es stattfinden werde, wie wenn ich es genau gewusst hätte. „Aber wie kann man nur derart lachen,“ sagte Madame Danton zu mir. – „Ach,“ sagte ich, „das ist mir eine Vorbedeutung, dass ich heute abends viele Tränen vergiessen werde.“ Es war schönes Wetter, wir machten die Runde durch mehrere Strassen, es gab da Leute genug, mehrere Sanskülotten gingen vorbei, indem sie schrieen: „Es lebe die Nation!“ Dann kamen Trupps zu Pferde und dann unübersehbare Massen. Die Angst erfasste <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0184" n="164"/> <p> Sie war bis zum 10. August 1792 die ehrenhafte, liebende, ihren Mann vergötternde Gattin, die ihm nicht auf den großen Schauplatz der Revolution hinaus folgte, die ihn aber nie hinderte, seine Pflicht zu tun.</p> <p>Nur einmal warf sie alle Schüchternheit ab, sie verließ ihr stilles Heim, um sich auf den Kampfplatz zu begeben. 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Nach Tisch waren wir bei Madame Danton, sie konnte kaum trauriger sein, als sie es an jenem Tage war, ihr Kleiner war verschüchtert. Danton schien entschlossen, ich lachte wie eine Tolle. Sie fürchteten, dass das Ereignis nicht stattfinden werde; trotzdem ich gar nicht überzeugt war, sagte ich ihnen, dass es stattfinden werde, wie wenn ich es genau gewusst hätte. „Aber wie kann man nur derart lachen,“ sagte Madame Danton zu mir. – „Ach,“ sagte ich, „das ist mir eine Vorbedeutung, dass ich heute abends viele Tränen vergiessen werde.“ Es war schönes Wetter, wir machten die Runde durch mehrere Strassen, es gab da Leute genug, mehrere Sanskülotten gingen vorbei, indem sie schrieen: „Es lebe die Nation!“ Dann kamen Trupps zu Pferde und dann unübersehbare Massen. Die Angst erfasste </p> </div> </body> </text> </TEI> [164/0184]
Sie war bis zum 10. August 1792 die ehrenhafte, liebende, ihren Mann vergötternde Gattin, die ihm nicht auf den großen Schauplatz der Revolution hinaus folgte, die ihn aber nie hinderte, seine Pflicht zu tun.
Nur einmal warf sie alle Schüchternheit ab, sie verließ ihr stilles Heim, um sich auf den Kampfplatz zu begeben. Als Desmoulins Leben in Gefahr war, konnte sie nichts zurückhalten. Sie kannte nicht weiter falsche Scham noch Angst, sie schreckte vor nichts zurück, nicht einmal vor dem Schafott, um ihren Geliebten zu retten.
Denn die Tage des Friedens und des Glückes waren vorüber, die glücklichen Zeiten waren verschwunden, die Stunde der Versuchung war gekommen. Der 10. August 1792 war der Tag, an dem das Volk von Paris die Tuilerien erstürmte und die alte Dynastie der Bourbonen stürzte. Lucile fühlte da zum erstenmal bewusst, dass der Dienst der Freiheit Opfer an Ruhe und Frieden fordere, dass die Tage der Revolution Tage der Bangigkeit, Aufregung und Sorge sind. Lucile erzählt selbst die Aufregungen der Nacht vom 10. August: „Am 8. August bin ich vom Lande zurückgekommen. Schon gährte es in allen Geistern; ich hatte die Marseiller zu Tisch. Wir unterhielten uns lebhaft. Nach Tisch waren wir bei Madame Danton, sie konnte kaum trauriger sein, als sie es an jenem Tage war, ihr Kleiner war verschüchtert. Danton schien entschlossen, ich lachte wie eine Tolle. Sie fürchteten, dass das Ereignis nicht stattfinden werde; trotzdem ich gar nicht überzeugt war, sagte ich ihnen, dass es stattfinden werde, wie wenn ich es genau gewusst hätte. „Aber wie kann man nur derart lachen,“ sagte Madame Danton zu mir. – „Ach,“ sagte ich, „das ist mir eine Vorbedeutung, dass ich heute abends viele Tränen vergiessen werde.“ Es war schönes Wetter, wir machten die Runde durch mehrere Strassen, es gab da Leute genug, mehrere Sanskülotten gingen vorbei, indem sie schrieen: „Es lebe die Nation!“ Dann kamen Trupps zu Pferde und dann unübersehbare Massen. Die Angst erfasste
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