Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.sein würde, nicht ein halbes Jahr mit der Erneuerung des Antrages gewartet hätte. Das allein hatte ihre Gefühle so abgekühlt, dass von Illusion keine Spur übrig geblieben war. Andererseits sagte sie sich, dass dieser wohlüberlegte, neuerliche Heiratsantrag sie überzeuge, dass er sie schätze und dass er seine Empfindlichkeit den äusseren Umständen gegenüber überwunden habe, die er durch die Verbindung mit ihr in den Kauf zu nehmen gezwungen sei. Sie sagte sich: "Wenn schliesslich die Ehe, wie ich es mir denke, ein ernstes Band ist, eine Vereinigung, wo die Frau für gewöhnlich sich das Glück zweier Menschen aufbürdet, ist es da nicht mehr wert, meine Fähigkeiten, meinen Mut in dieser ehrenden Aufgabe auszuüben, als in der Absonderung, in der ich lebe?" Sie fasste den Entschluss und wurde seine Frau. Je mehr er sie kennen lernte, desto mehr liebte er sie. Sie hatte sich mit dem ganzen Ernst der Vernunft verehelicht, sie fand nichts, was sie davon ablenkte. Sie widmete sich ihm mit einem Uebermass, das mehr enthusiastisch als berechnet war. Je mehr sie sich mit dem Glücke ihres Mannes befasste, desto mehr bemerkte sie, dass etwas zu dem ihren fehlte. Trotzdem sie keinen Augenblick aufhörte, in Roland einen der ehrenhaftesten Männer zu sehen, die es gab, und dem anzugehören sie sich zur Ehre anrechnete, fühlte sie dennoch oft, dass es ihnen an Gleichartigkeit fehle. Der Einfluss eines herrschsüchtigen Charakters, dazu ein Altersunterschied von zwanzig Jahren, liessen ihr die eine oder andere dieser Überlegenheiten als zu viel erscheinen. In der Einsamkeit hatte sie manche peinliche Stunde, und gingen sie in Gesellschaft, so bemerkte sie, dass dieser oder jener ihr gefährlich werden könnte. Deshalb stürzte sie sich in die Arbeiten ihres Mannes. Daraus entstand ein neues Uebel. Er gewöhnte sich so sehr an ihre Mithilfe, dass er um nichts in der Welt und in keinem Augenblick ohne sie sein wollte. Sie liebte und achtete ihren Mann, wie eine gute Tochter ihren tugendhaften Vater anbetet, dem sie selbst sein würde, nicht ein halbes Jahr mit der Erneuerung des Antrages gewartet hätte. Das allein hatte ihre Gefühle so abgekühlt, dass von Illusion keine Spur übrig geblieben war. Andererseits sagte sie sich, dass dieser wohlüberlegte, neuerliche Heiratsantrag sie überzeuge, dass er sie schätze und dass er seine Empfindlichkeit den äusseren Umständen gegenüber überwunden habe, die er durch die Verbindung mit ihr in den Kauf zu nehmen gezwungen sei. Sie sagte sich: „Wenn schliesslich die Ehe, wie ich es mir denke, ein ernstes Band ist, eine Vereinigung, wo die Frau für gewöhnlich sich das Glück zweier Menschen aufbürdet, ist es da nicht mehr wert, meine Fähigkeiten, meinen Mut in dieser ehrenden Aufgabe auszuüben, als in der Absonderung, in der ich lebe?“ Sie fasste den Entschluss und wurde seine Frau. Je mehr er sie kennen lernte, desto mehr liebte er sie. Sie hatte sich mit dem ganzen Ernst der Vernunft verehelicht, sie fand nichts, was sie davon ablenkte. Sie widmete sich ihm mit einem Uebermass, das mehr enthusiastisch als berechnet war. Je mehr sie sich mit dem Glücke ihres Mannes befasste, desto mehr bemerkte sie, dass etwas zu dem ihren fehlte. Trotzdem sie keinen Augenblick aufhörte, in Roland einen der ehrenhaftesten Männer zu sehen, die es gab, und dem anzugehören sie sich zur Ehre anrechnete, fühlte sie dennoch oft, dass es ihnen an Gleichartigkeit fehle. Der Einfluss eines herrschsüchtigen Charakters, dazu ein Altersunterschied von zwanzig Jahren, liessen ihr die eine oder andere dieser Überlegenheiten als zu viel erscheinen. In der Einsamkeit hatte sie manche peinliche Stunde, und gingen sie in Gesellschaft, so bemerkte sie, dass dieser oder jener ihr gefährlich werden könnte. Deshalb stürzte sie sich in die Arbeiten ihres Mannes. Daraus entstand ein neues Uebel. Er gewöhnte sich so sehr an ihre Mithilfe, dass er um nichts in der Welt und in keinem Augenblick ohne sie sein wollte. Sie liebte und achtete ihren Mann, wie eine gute Tochter ihren tugendhaften Vater anbetet, dem sie selbst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0108" n="89"/> sein würde, nicht ein halbes Jahr mit der Erneuerung des Antrages gewartet hätte. Das allein hatte ihre Gefühle so abgekühlt, dass von Illusion keine Spur übrig geblieben war. Andererseits sagte sie sich, dass dieser wohlüberlegte, neuerliche Heiratsantrag sie überzeuge, dass er sie schätze und dass er seine Empfindlichkeit den äusseren Umständen gegenüber überwunden habe, die er durch die Verbindung mit ihr in den Kauf zu nehmen gezwungen sei. Sie sagte sich: „Wenn schliesslich die Ehe, wie ich es mir denke, ein ernstes Band ist, eine Vereinigung, wo die Frau für gewöhnlich sich das Glück zweier Menschen aufbürdet, ist es da nicht mehr wert, meine Fähigkeiten, meinen Mut in dieser ehrenden Aufgabe auszuüben, als in der Absonderung, in der ich lebe?“</p> <p>Sie fasste den Entschluss und wurde seine Frau. Je mehr er sie kennen lernte, desto mehr liebte er sie. Sie hatte sich mit dem ganzen Ernst der Vernunft verehelicht, sie fand nichts, was sie davon ablenkte. Sie widmete sich ihm mit einem Uebermass, das mehr enthusiastisch als berechnet war. Je mehr sie sich mit dem Glücke ihres Mannes befasste, desto mehr bemerkte sie, dass etwas zu dem ihren fehlte. Trotzdem sie keinen Augenblick aufhörte, in Roland einen der ehrenhaftesten Männer zu sehen, die es gab, und dem anzugehören sie sich zur Ehre anrechnete, fühlte sie dennoch oft, dass es ihnen an Gleichartigkeit fehle. Der Einfluss eines herrschsüchtigen Charakters, dazu ein Altersunterschied von zwanzig Jahren, liessen ihr die eine oder andere dieser Überlegenheiten als zu viel erscheinen. In der Einsamkeit hatte sie manche peinliche Stunde, und gingen sie in Gesellschaft, so bemerkte sie, dass dieser oder jener ihr gefährlich werden könnte. Deshalb stürzte sie sich in die Arbeiten ihres Mannes. Daraus entstand ein neues Uebel. Er gewöhnte sich so sehr an ihre Mithilfe, dass er um nichts in der Welt und in keinem Augenblick ohne sie sein wollte.</p> <p>Sie liebte und achtete ihren Mann, wie eine gute Tochter ihren tugendhaften Vater anbetet, dem sie selbst </p> </div> </body> </text> </TEI> [89/0108]
sein würde, nicht ein halbes Jahr mit der Erneuerung des Antrages gewartet hätte. Das allein hatte ihre Gefühle so abgekühlt, dass von Illusion keine Spur übrig geblieben war. Andererseits sagte sie sich, dass dieser wohlüberlegte, neuerliche Heiratsantrag sie überzeuge, dass er sie schätze und dass er seine Empfindlichkeit den äusseren Umständen gegenüber überwunden habe, die er durch die Verbindung mit ihr in den Kauf zu nehmen gezwungen sei. Sie sagte sich: „Wenn schliesslich die Ehe, wie ich es mir denke, ein ernstes Band ist, eine Vereinigung, wo die Frau für gewöhnlich sich das Glück zweier Menschen aufbürdet, ist es da nicht mehr wert, meine Fähigkeiten, meinen Mut in dieser ehrenden Aufgabe auszuüben, als in der Absonderung, in der ich lebe?“
Sie fasste den Entschluss und wurde seine Frau. Je mehr er sie kennen lernte, desto mehr liebte er sie. Sie hatte sich mit dem ganzen Ernst der Vernunft verehelicht, sie fand nichts, was sie davon ablenkte. Sie widmete sich ihm mit einem Uebermass, das mehr enthusiastisch als berechnet war. Je mehr sie sich mit dem Glücke ihres Mannes befasste, desto mehr bemerkte sie, dass etwas zu dem ihren fehlte. Trotzdem sie keinen Augenblick aufhörte, in Roland einen der ehrenhaftesten Männer zu sehen, die es gab, und dem anzugehören sie sich zur Ehre anrechnete, fühlte sie dennoch oft, dass es ihnen an Gleichartigkeit fehle. Der Einfluss eines herrschsüchtigen Charakters, dazu ein Altersunterschied von zwanzig Jahren, liessen ihr die eine oder andere dieser Überlegenheiten als zu viel erscheinen. In der Einsamkeit hatte sie manche peinliche Stunde, und gingen sie in Gesellschaft, so bemerkte sie, dass dieser oder jener ihr gefährlich werden könnte. Deshalb stürzte sie sich in die Arbeiten ihres Mannes. Daraus entstand ein neues Uebel. Er gewöhnte sich so sehr an ihre Mithilfe, dass er um nichts in der Welt und in keinem Augenblick ohne sie sein wollte.
Sie liebte und achtete ihren Mann, wie eine gute Tochter ihren tugendhaften Vater anbetet, dem sie selbst
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