Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.Und so, mein lieber Chamisso, leb' ich noch heute. Und Dich, mein lieber Chamisso, hab' ich zum Be- 6
Und ſo, mein lieber Chamiſſo, leb’ ich noch heute. Und Dich, mein lieber Chamiſſo, hab’ ich zum Be- 6
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0099" n="81"/> <p>Und ſo, mein lieber <hi rendition="#g">Chamiſſo</hi>, leb’ ich noch heute.<lb/> Meine Stiefel nutzen ſich nicht ab, wie das ſehr gelehrte Werk<lb/> des berühmten <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Tieckius</hi>, de rebus gestis Pollicilli,</hi> es<lb/> mich anfangs befürchten laſſen. Ihre Kraft bleibt ungebro-<lb/> chen; nur meine Kraft geht dahin, doch hab’ ich den Troſt,<lb/> ſie an einen Zweck in fortgeſetzter Richtung und nicht frucht-<lb/> los verwendet zu haben. Ich habe, ſo weit meine Stiefel ge-<lb/> reicht, die Erde, ihre Geſtaltung, ihre Höhen, ihre Tempe-<lb/> ratur, ihre Atmoſphäre in ihrem Wechſel, die Erſcheinungen<lb/> ihrer magnetiſchen Kraft, das Leben auf ihr, beſonders im<lb/> Pflanzenreiche, gründlicher kennen gelernt, als vor mir irgend<lb/> ein Menſch. Ich habe die Thatſachen mit möglichſter Ge-<lb/> nauigkeit in klarer Ordnung aufgeſtellt in mehrern Werken,<lb/> meine Folgerungen und Anſichten flüchtig in einigen Abhand-<lb/> lungen niedergelegt. — Ich habe die Geographie vom Innern<lb/> von Afrika und von den nördlichen Polarländern, vom Innern<lb/> von Aſien und von ſeinen öſtlichen Küſten, feſtgeſetzt. Meine<lb/><hi rendition="#aq">Historia stirpium plantarum utriusque orbis</hi> ſteht da als ein<lb/> großes Fragment der <hi rendition="#aq">Flora universalis terrae,</hi> und als ein<lb/> Glied meines <hi rendition="#aq">Systema naturae.</hi> Ich glaube darin nicht blos<lb/> die Zahl der bekannten Arten mäßig um mehr als ein Drittel<lb/> vermehrt, ſondern auch Etwas für das natürliche Syſtem<lb/> und für die Geographie der Pflanzen gethan zu haben. Ich<lb/> arbeite jetzt fleißig an meiner Fauna. Ich werde Sorge tra-<lb/> gen, daß vor meinem Tode meine Manuſkripte bei der Ber-<lb/> liner Univerſität niedergelegt werden.</p><lb/> <p>Und Dich, mein lieber <hi rendition="#g">Chamiſſo</hi>, hab’ ich zum Be-<lb/> wahrer meiner wunderſamen Geſchichte erkoren, auf daß ſie<lb/> vielleicht, wenn ich von der Erde verſchwunden bin, manchen<lb/> ihrer Bewohner zur nützlichen Lehre gereichen könne. Du<lb/> aber, mein Freund, willſt Du unter den Menſchen leben, ſo<lb/> lerne verehren zuvörderſt den Schatten, ſodann das Geld.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">6</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [81/0099]
Und ſo, mein lieber Chamiſſo, leb’ ich noch heute.
Meine Stiefel nutzen ſich nicht ab, wie das ſehr gelehrte Werk
des berühmten Tieckius, de rebus gestis Pollicilli, es
mich anfangs befürchten laſſen. Ihre Kraft bleibt ungebro-
chen; nur meine Kraft geht dahin, doch hab’ ich den Troſt,
ſie an einen Zweck in fortgeſetzter Richtung und nicht frucht-
los verwendet zu haben. Ich habe, ſo weit meine Stiefel ge-
reicht, die Erde, ihre Geſtaltung, ihre Höhen, ihre Tempe-
ratur, ihre Atmoſphäre in ihrem Wechſel, die Erſcheinungen
ihrer magnetiſchen Kraft, das Leben auf ihr, beſonders im
Pflanzenreiche, gründlicher kennen gelernt, als vor mir irgend
ein Menſch. Ich habe die Thatſachen mit möglichſter Ge-
nauigkeit in klarer Ordnung aufgeſtellt in mehrern Werken,
meine Folgerungen und Anſichten flüchtig in einigen Abhand-
lungen niedergelegt. — Ich habe die Geographie vom Innern
von Afrika und von den nördlichen Polarländern, vom Innern
von Aſien und von ſeinen öſtlichen Küſten, feſtgeſetzt. Meine
Historia stirpium plantarum utriusque orbis ſteht da als ein
großes Fragment der Flora universalis terrae, und als ein
Glied meines Systema naturae. Ich glaube darin nicht blos
die Zahl der bekannten Arten mäßig um mehr als ein Drittel
vermehrt, ſondern auch Etwas für das natürliche Syſtem
und für die Geographie der Pflanzen gethan zu haben. Ich
arbeite jetzt fleißig an meiner Fauna. Ich werde Sorge tra-
gen, daß vor meinem Tode meine Manuſkripte bei der Ber-
liner Univerſität niedergelegt werden.
Und Dich, mein lieber Chamiſſo, hab’ ich zum Be-
wahrer meiner wunderſamen Geſchichte erkoren, auf daß ſie
vielleicht, wenn ich von der Erde verſchwunden bin, manchen
ihrer Bewohner zur nützlichen Lehre gereichen könne. Du
aber, mein Freund, willſt Du unter den Menſchen leben, ſo
lerne verehren zuvörderſt den Schatten, ſodann das Geld.
6
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |